von den Kindertagen der Globalisierung
bis in die Zukunft
Schifffahrtszyklen: Mit dem Begriff,
der so vermeintlich einfach daherkommt, zeichnen die Autoren des
Buches das Bild einer komplexen, von ökonomischen, politischen und
sozialen Aspekten geprägten Geschichte des globalen Seehandels, die
gewissen zyklischen Regelmäßigkeiten zu folgen scheint. Immerhin
drei langfristige Trends und 22 kurze Zyklen der Schifffahrt, deren
Ursachen und Entwicklungen haben Volkswirt Dr. Thomas Straubhaar und
Wirtschaftshistoriker Dr. Franz Wauschkuhn in ihrem Buch beschrieben.
Für die Zukunft des Welthandels kommen sie dabei zu interessanten
Ergebnissen.
Gewisse schiffbauhistorische
Schwächen
Zugegeben, der ökonomische Schwerpunkt
ist für den eingefleischten Seefahrthistoriker schon ein wenig
gewöhnungsbedürftig. Denn in die Betrachtungen – insbesondere in
den Zeiten, die sich der ökonomischen Betrachtung nach heutigen
Maßstäben und dem Kernthema des Buches entziehen – schleichen
sich schon ein paar Ungenauigkeiten und doch recht pauschale Aussagen
ein. Nicht zuletzt irritiert ganz am Anfang dass in dem Kapitel „Auf
der Fluite in die erste Schifffahrtskrise“, der legendäre
niederländische Schiffstyp, der auch unter dem Namen Fleute bekannt
ist, überhaupt nicht vorkommt. Im Kapitel „Die Fluite oder
Kindertage der Globalisierung“ wird dem Leser dann deutlich
erkennbar ein Foto des Nachbaus der Halve Maen (1608), des Schiffes
Henry Hudsons als Replik des Ostindienfahrers Batavia (1628)
untergeschoben. Und dass die abgebildeten Fleuten in der Grafik von
Wenzel Hollar vor Batavia liegen, darf als durchaus mutige
Spekulation bezeichnet werden. Nicht zuletzt schleichen sich in der
sehr kurz abgehandelten Darstellung der schiffbautechnisch sehr
komplexen Geschichte der Ablösung der Kogge durch die Fleute
zumindest missverständliche Formulierungen ein.
Die komplexen Hintergründe der
Zyklen des globalen Seehandels
Und so ist es bei der Lektüre dieses
Buches klug, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, dass es sich
eben um ein wirtschaftsgeschichtliches Werk handelt. Als solches
erweist sich die Betrachtung von Zyklen, Frachtraten, Schiffbautrends
und globalen Handelsaufkommen tatsächlich als außerordentlich
informativ und spannend. Etwa seit Beginn des 17. Jahrhunderts lassen
sich die Schifffahrtszyklen aufgrund veränderter ökonomischer
Rahmenbedingungen erfassen und definieren. So legen die Autoren mit
der Segelschifffahrt den ersten säkularen Trend, der bis zum Jahr
1869 reicht (Eröffnung des Suezkanals) fest. Der Zweite, die Linien-
und Trampschiffära, währte bis 1945 und Die darauf folgende
Bulkschiffära reicht bis ins Jahr 2001, dem Platzen der sogenannten
Dotcom-Blase. Die 22 ermittelten Business-Zyklen unterschiedlicher
Länge zeichnen sich, wie der Begriff bereits suggeriert, durch das
wirtschaftliche Auf und Ab in der Seefahrt, aus. Prägende Ereignisse
sind dabei Kriege, wirtschaftspolitische Entscheidungen,
Technologische Entwicklungen und eine gehörige Portion Spekulation
der am Handels- Finanzierungs- und Schiffbauprozess Beteiligten.
Strukturwandel auf allen Ebenen
In welcher säkularen Ära wir uns
aktuell befinden, muss naturgemäß noch offen bleiben. Klar,
inzwischen haben die Container den globalen Handel zur See und zu
Lande erobert. Und wie bei den vergangenen säkularen Zyklen spielen
auch heute Spekulation, Überproduktion bei gleichzeitiger
Vernichtung von Schiffsraum und politische Ereignisse wie
internationale Spannungen, Handelsembargos und Schutzzölle eine
zentrale Rolle für die Entwicklung der Schifffahrt. Das letzte
Kapitel zeigt jedoch, dass sich ein gravierender Wandel im globalen
Handel vollzieht. So stellen die Autoren fest: „Zentralisierung war
Ursache und Folge der Globalisierung […]. Je weiter die
Digitalisierung fortschreitet, desto attraktiver wird es, … die
zentrale Wertschöpfung auf dezentrale Produktion umzustellen.“ Im
Klartext: Statt materieller Güter werden zunehmend Informationen,
Daten gehandelt, die lokale Produktion am jeweiligen Markt
ermöglichen. Immer größere Schiffe mit immer größeren
Containerkapazitäten für den globalen Warenaustausch werden
obsolet. Deglobalisierung ist das Stichwort, dessen Bedeutung auch
Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. So befassen sich die Autoren
mit Fragen der Demokratie, Umwelt, der Schere zwischen Arm und Reich,
Nationalismustendenzen und vielen anderen Themen, die uns heute
bewegen und liefern dabei interessante Einschätzungen, Ausblicke und
Denkanstöße.
Thomas Straubhaar, Franz
Wauschkuhn: Schifffahrtszyklen. Osburg Verlag 2019. Geb. mit
Schutzumschlag, 179 Seiten.