Sonntag, 5. Mai 2019

Schifffahrtszyklen

von den Kindertagen der Globalisierung bis in die Zukunft

Schifffahrtszyklen: Mit dem Begriff, der so vermeintlich einfach daherkommt, zeichnen die Autoren des Buches das Bild einer komplexen, von ökonomischen, politischen und sozialen Aspekten geprägten Geschichte des globalen Seehandels, die gewissen zyklischen Regelmäßigkeiten zu folgen scheint. Immerhin drei langfristige Trends und 22 kurze Zyklen der Schifffahrt, deren Ursachen und Entwicklungen haben Volkswirt Dr. Thomas Straubhaar und Wirtschaftshistoriker Dr. Franz Wauschkuhn in ihrem Buch beschrieben. Für die Zukunft des Welthandels kommen sie dabei zu interessanten Ergebnissen.

Gewisse schiffbauhistorische Schwächen

Zugegeben, der ökonomische Schwerpunkt ist für den eingefleischten Seefahrthistoriker schon ein wenig gewöhnungsbedürftig. Denn in die Betrachtungen – insbesondere in den Zeiten, die sich der ökonomischen Betrachtung nach heutigen Maßstäben und dem Kernthema des Buches entziehen – schleichen sich schon ein paar Ungenauigkeiten und doch recht pauschale Aussagen ein. Nicht zuletzt irritiert ganz am Anfang dass in dem Kapitel „Auf der Fluite in die erste Schifffahrtskrise“, der legendäre niederländische Schiffstyp, der auch unter dem Namen Fleute bekannt ist, überhaupt nicht vorkommt. Im Kapitel „Die Fluite oder Kindertage der Globalisierung“ wird dem Leser dann deutlich erkennbar ein Foto des Nachbaus der Halve Maen (1608), des Schiffes Henry Hudsons als Replik des Ostindienfahrers Batavia (1628) untergeschoben. Und dass die abgebildeten Fleuten in der Grafik von Wenzel Hollar vor Batavia liegen, darf als durchaus mutige Spekulation bezeichnet werden. Nicht zuletzt schleichen sich in der sehr kurz abgehandelten Darstellung der schiffbautechnisch sehr komplexen Geschichte der Ablösung der Kogge durch die Fleute zumindest missverständliche Formulierungen ein.

Die komplexen Hintergründe der Zyklen des globalen Seehandels

Und so ist es bei der Lektüre dieses Buches klug, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, dass es sich eben um ein wirtschaftsgeschichtliches Werk handelt. Als solches erweist sich die Betrachtung von Zyklen, Frachtraten, Schiffbautrends und globalen Handelsaufkommen tatsächlich als außerordentlich informativ und spannend. Etwa seit Beginn des 17. Jahrhunderts lassen sich die Schifffahrtszyklen aufgrund veränderter ökonomischer Rahmenbedingungen erfassen und definieren. So legen die Autoren mit der Segelschifffahrt den ersten säkularen Trend, der bis zum Jahr 1869 reicht (Eröffnung des Suezkanals) fest. Der Zweite, die Linien- und Trampschiffära, währte bis 1945 und Die darauf folgende Bulkschiffära reicht bis ins Jahr 2001, dem Platzen der sogenannten Dotcom-Blase. Die 22 ermittelten Business-Zyklen unterschiedlicher Länge zeichnen sich, wie der Begriff bereits suggeriert, durch das wirtschaftliche Auf und Ab in der Seefahrt, aus. Prägende Ereignisse sind dabei Kriege, wirtschaftspolitische Entscheidungen, Technologische Entwicklungen und eine gehörige Portion Spekulation der am Handels- Finanzierungs- und Schiffbauprozess Beteiligten.

Strukturwandel auf allen Ebenen

In welcher säkularen Ära wir uns aktuell befinden, muss naturgemäß noch offen bleiben. Klar, inzwischen haben die Container den globalen Handel zur See und zu Lande erobert. Und wie bei den vergangenen säkularen Zyklen spielen auch heute Spekulation, Überproduktion bei gleichzeitiger Vernichtung von Schiffsraum und politische Ereignisse wie internationale Spannungen, Handelsembargos und Schutzzölle eine zentrale Rolle für die Entwicklung der Schifffahrt. Das letzte Kapitel zeigt jedoch, dass sich ein gravierender Wandel im globalen Handel vollzieht. So stellen die Autoren fest: „Zentralisierung war Ursache und Folge der Globalisierung […]. Je weiter die Digitalisierung fortschreitet, desto attraktiver wird es, … die zentrale Wertschöpfung auf dezentrale Produktion umzustellen.“ Im Klartext: Statt materieller Güter werden zunehmend Informationen, Daten gehandelt, die lokale Produktion am jeweiligen Markt ermöglichen. Immer größere Schiffe mit immer größeren Containerkapazitäten für den globalen Warenaustausch werden obsolet. Deglobalisierung ist das Stichwort, dessen Bedeutung auch Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. So befassen sich die Autoren mit Fragen der Demokratie, Umwelt, der Schere zwischen Arm und Reich, Nationalismustendenzen und vielen anderen Themen, die uns heute bewegen und liefern dabei interessante Einschätzungen, Ausblicke und Denkanstöße.

Thomas Straubhaar, Franz Wauschkuhn: Schifffahrtszyklen. Osburg Verlag 2019. Geb. mit Schutzumschlag, 179 Seiten.

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