Samstag, 7. Oktober 2017

Signale der Seefahrt

Der lange Weg zum internationalen Flaggencode

Prächtige Flaggen und Wimpel schmücken die Galeeren, Kriegs- und Handelssegler auf den maritimen Gemälden der vergangenen Jahrhunderte. Dabei handelt es sich bei der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Flaggenpracht bereits um Vorläufer des Signalwesens. Position, Farben und Gestaltung des flatternden Tuches oft gewaltiger Ausmaße hatten durchaus eine Bedeutung für den kundigen Betrachter. Bis zum ausgeklügelten internationalen Codesystem dieser Tage war es jedoch ein weiter und mühsamer Weg, den Detlef Hechtel in seinem Buch Signale der Seefahrt beschreibt.

Kommunikation zur See war und ist nicht nur wichtig, um in Kriegszeiten Freund und Feind unterscheiden zu können. Die Bewegungen der einzelnen Schiffe von Kriegsflotten oder Handelskonvois müssen aufeinander abgestimmt werden, taktische Anweisungen gegeben oder Informationen über Position, Beobachtungen, Wetter, Kurse und vieles mehr ausgetauscht werden. Und selbstverständlich ist es bei der Begegnung auf See oder beim Anlaufen von Häfen wichtig zu wissen, mit wem man es beim Gegenüber  zu tun hat. Die Mittel zur Kommunikation waren vor den Segnungen der elektronischen Medien durchaus beschränkt. Und so nimmt es kein Wunder, dass die oben beschriebene Flaggenpracht zunächst vor allem der Herkunftskennzeichnung und Identifizierung des jeweiligen Schiffes diente. Kommunikation innerhalb eines Schiffsverbandes beschränkte sich dabei vor allem im Vermitteln einfacher Anweisungen durch das Führungsschiff. Das geschah beinahe buchstäblich mit Pauken und Trompeten, also neben optischen wie Flaggen, Laternen oder Spiegeln auch akustischen Signalen wie Kanonen oder Gewehrschüssen, Trompeten oder schlichtweg Rufen.

Vom Kommando zum komplexen Informationsaustausch

Mit der „Eroberung der Weltmeere“ durch die europäischen Seemächte stiegen die Anforderungen an die Kommunikation auf See. Die Konkurrenz der Seemächte um die globalen Ressourcen verhinderte jedoch auf lange Zeit die Entwicklung einer gemeinsamen Signalsprache. Die einzelnen Nationen, allen voran die Holländer und Briten, begannen jedoch mit zunehmenden und sich verändernden Anforderungen recht komplexe flaggenbasierte Kommunikationscodes zu ersinnen, die nach und nach die bislang für die jeweilige Reise erstellten speziellen Kurs- und Kommunikationsanweisungen ablösten. Waren die Verständigungsmechanismen zunächst noch recht einseitiger Natur – der Admiral erteilte seinen Kapitänen Befehle – entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts hochkomplexe nationale Signalcodesysteme auf deren Basis Tausende komplexer Informationen über Fragen und Antworten ausgetauscht werden konnten. Persönlichkeiten wie John Pasco, Capitain F. Marryat, Watson, Captain Rhode oder Reynold haben in diesem Zusammenhang auf dem Weg zum internationalen Signalcode Geschichte geschrieben.

Seefahrtsgeschichte mit besonderen Aspekten

Detlef Hechtel gibt in seinem Buch einen spannenden Abriss des langen Wegs zum internationalen Flaggencode, dessen Etablierung eng verknüpft war mit dem Kampf um die maritime Vorherrschaft und den Anforderungen einer globalen Wirtschaft. Bei diesem Thema, das viel mit penibler Systematik, Matrizen und Verschlüsselungstechniken zu tun hat, ist es eigentlich nicht leicht, den Spannungsbogen über die gesamte Länge der Abhandlung zu halten. Hechtel gelingt dies jedoch mit Bravour. Dabei hilft ihm nicht nur seine sprachlich-stilistische Kompetenz, sondern auch die Tatsache, dass er die Entwicklung des Signalwesens mit den sich ständig verändernden Anforderungen der globalisierten Seefahrt verbindet. Da spielt das Spannungsfeld zwischen militärischer und ziviler Anwendung, der Notwendigkeit der Verschlüsselung bei gleichzeitiger allgemeiner Verständlichkeit oder die Veränderung der Informationsansprüche im Rahmen der ökonomischen Globalisierung eine Rolle. Insofern erhält der Leser mit diesem Buch eine schön aufbereitete Geschichte der Seefahrt unter dem besonderen Aspekt des Signalwesens und taucht dabei auf spezielle Weise in die Kulturgeschichte der frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Schifffahrt ein.

Faszination der Signalcodes

Wer nach der Lektüre des Buches auf einem Hafenfest die über die Toppen geflaggten Großsegler bewundert, dürfte nicht nur von Segelschiffsromantik träumen, sondern auch mit gehörigem Respekt an die außerordentlichen Leistungen der Signalgasten denken. Die mussten immerhin binnen kürzester Zeit beispielsweise nach dem 1857 veröffentlichten Signalbuch „International Code of Signals“ aus 18 Flaggen (und diversen Ergänzungssätzen) nicht nur die richtigen Codes für insgesamt 70.000 möglichen Nachrichten zusammenstellen, sie mussten in ebenso kurzer Zeit natürlich die entsprechend codierten Nachrichten und Antworten anderer Schiffe entziffern können.

Detlef Hechtel: Signale der Seefahrt. Der lange Weg zum internationalen Flaggencode. Oceanum Verlag 2017. Hardcover 191 Seiten

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