Von
Schlitten und Menschen
Wenn die
modernen Eisjachten mit mehr als 100 Km/h über zugefrorene Seen oder
Küstengewässer jagen, ist das ein eindrucksvolles Spektakel. Spektakulär waren
auch die Fahrten der Eissegler in den vergangenen Jahrhunderten, als mit den
Segelschlitten die Versorgung der Boddenbewohner über die zugefrorene Ostsee
gesichert wurde. Hermann Winkler erinnert mit seinem Buch Die Eissegler an die Geschichte und Geschichten einer Zeit, als das
Eissegeln zum Arbeitsfeld der Fischer und Fährleute gehörte.
Über 400
Jahre lässt sich die Geschichte des Eissegelns zurückverfolgen. Bereits zeitgenössische
holländische Landschaftsmalereien des beginnenden 17. Jahrhunderts zeigen Segelboote,
an deren Unterseite Kufen montiert waren. Und kein geringerer als der Schiffsbauer
Henrik af Chapman hat 1768 die älteste bekannte Konstruktionszeichnung eines
speziellen Eisseglers angefertigt. Auch an der südlichen Ostseeküste dürfte das
Eissegeln eine ebenso lange Tradition haben wie die Seefahrt in dieser Region. Es
waren die Bauern und Fischer der Boddendörfer und der Inseln, die mit ihren
Pike- und Segelschlitten Personen und Fracht, Post und Vieh über das trügerische
Eis transportiert hatten. Die ersten schriftlichen Hinweise finden sich in den
Berichten des Oberfischereimeisters Wilhelm Beerbohm aus dem Jahre 1830 und in
Zeitungsanzeigen über schwere Eisunfälle.
Mit sechzig Sachen auf Fischräuberjagd
Um Konstruktion
und Segeleigenschaften des typischen Fischländer Schlittens zu beschreiben,
zitiert der Autor den ersten mecklenburgischen Bezirksfischermeister im
Ribnitzer Revier, August Steffen. Der hatte 1899 unter dem Titel Ein praktischer Segelschlitten in der Stettiner Zeitschrift für Fischerei eine
umfangreiche Abhandlung verfasst. Gemeint war damit der Dienstschlitten des
Aufsehers, mit dem er nach eigener Beschreibung mit 60 km/h zwischen Eisfischern
und ihrem Gerät hindurchflitzte und Jagd auf Fischdiebe machte. „Da ist“, so
der wackere Amtmann, „eine Aussicht auf Entkommen seitens der Fischdiebe und
Fischereikontravenienten (Gesetzesübertreter) nicht zu wohl denken.“
Zur Zeit der
Beschreibung des Fischereiaufsehers sollen im Winter noch rund 200 Schlitten
über das Eis des Bodden gesegelt sein. Heute gibt es dort immerhin noch 60 bis
70 solcher Fahrzeuge, darunter zahlreiche originalgetreue Nachbauten.
Von Segelschlitten und menschlichen
Eisseglern
Es ist also
kein Wunder, dass der Autor des Buches nicht nur auf die alten Quellen
zurückgreifen muss, wenn er etwas über diese speziellen Fahrzeuge erfahren
möchte. Denn die Eissegelei ist noch heute gelebte Tradition. Und so finden
sich Auszüge und Zusammenfassungen von Interviews mit Bootsbauern und Seglern, deren
Familiengeschichten dem Leser sehr lebendige Eindrücke von dem abenteuerlichen
maritimen Wintergeschäft vergangener Zeiten vermitteln. Das Segeln mit den
Eisschlitten hatte zudem seine Besonderheiten und speziellen Tücken. Da wäre
zunächst die Segeltechnik, die sich vom Wassersegeln unterscheidet. Das
Geheimnis der Eissegler ist nämlich der „scheinbare Wind“, der dem Fahrzeug
eine größere Geschwindigkeit verleiht, als die, die der wahre Wind selbst
aufweist. Sicher gibt es dieses Phänomen auch beim Wassersegeln, die Eissegler nutzen
den scheinbaren Wind jedoch in ganz besonders effektiver Weise.
Eine besondere maritime Welt
Es ist
sicherlich nicht die Geschwindigkeit und die glatte Oberfläche des Fahrtgrundes
allein, die das Eissegeln vor allem in alten Zeiten zu einer abenteuerlichen
und gefährlichen Angelegenheit machte. Verborgene Eisspalten, plötzliche
Windänderungen und sicherlich auch gelegentlicher Übermut führten immer wieder
zu schweren Unfällen mit Todesopfern. Es ist kein Zufall, dass es zahlreiche
Begriffe zur Eislage für den Segler gibt. Als Stichworte seien hier nur Blänke (Löcher im Eis), Boste (Risse Sprünge) oder Schaumeis (im
Wind oberflächlich zugefrorene, nicht tragfähige offene Stellen) genannt. Mit
dem Buch Die Eissegler taucht der
Leser jedenfalls in eine weitgehend unbekannte maritime Welt ein, schwelgt in
Geschichte und Geschichten und erfreut sich an den zahlreichen Illustrationen und
oft ganzseitigen Fotos. Ein ungewöhnliches und spannendes Thema, auf
interessante Weise und vielseitig aufgearbeitet und vermittelt.
Hermann
Winkler: Die Eissegler. Hinstorff
2016. Gebunden, 109 Seiten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen