Freitag, 12. August 2016

Das Bremer Schlachte Schiff

Eine Proto-Kogge mit Heckruder aus der Zeit um 1100

lange musste die Öffentlichkeit auf die Publikation zur Archäologie des weltweit ersten Fundes eines mit einem Heckruder versehenen Frachtschiffes des Mittelalters warten. Beinahe wäre sie auch nicht zustande gekommen, denn sowohl bei der Bergung als auch der Konservierung des einzigartigen Fundes sind gravierende Pannen passiert, die die wissenschaftliche Aussagekraft des sogenannten Schlachte-Schiffes erheblich schmälern. Die Informationen, die die Fundfragmente dennoch hergeben, sind es jedoch Wert, publiziert zu werden. Und auch die Beschreibung der Fehler, Pannen und ungünstigen Begleitumstände bei Bergung und Konservation machen den Band 76 der Schriften des Deutschen Schifffahrtsmuseums zu einer wichtigen Publikation nicht nur zum Thema Kogge und mittelalterliche Schifffahrt sondern auch zum Thema Archäologie.

Es war ein aufwändiges Tiefbauprojekt an der Schlachte, das sowohl zur teilweisen Zerstörung als auch zur eher zufälligen Entdeckung des bedeutenden Fundes aus der Zeit um 1100 geführt hat. Beim Setzen der Stahlträger und Spundwände für zwei Caissons, die bis in eine Tiefe von 14 Metern unter Straßenniveau vorgetrieben wurden, war trotz Warnung der Landesarchäologie bereits Holz in unbekannter Menge zermalmt worden. Beim anschließenden Ausbaggern des Caissons 1 kamen zahlreiche Holzstücke zutage, die wie Grabungsmeister Carl Christian von Fick vermutete, von alten, durch die Weser zusammengespülte Reste mehrerer Schiffe stammten. Am 16. Juli 1991 kam es dann zu einem Bruch der Spundwand in Schacht 1. dabei lösten sich Holzteile aus der Wand und ein mächtiger Spant und schließlich die Bug-oder Heckpartie  eines kieloben liegenden größeren Schiffes wurde sichtbar.

Entdeckung, Bergung und Konservierung mit Pleiten, Pech und Pannen

Schnell war klar, dass man es mit dem „Missing Link“ der Kogge-Entwicklung zu tun hatte, eine Bergung des Schiffes aus archäologischer Sicht zwingend. Und dann ging es natürlich ums Geld, um Personal und wirtschaftliche und politische Interessen. Ergebnis: Es wurde letztlich nur das vom Caisson abgeschnittene Hecksegment und eine Reihe von beiliegenden Fundstücken zweifelhafter Zuordnung geborgen und zur Konservierung in das Deutsche Schifffahrtsmuseum gebracht. Es war die Zeit, als weitere aufsehenerregende und wichtige Funde – wie der karolingische Lastkahn „Karl“ aus dem 8. Jahrhundert oder das „Beck’s-Schiff“ aus dem Ende des 15. Jahrhundert – ausgegraben und vom DSM konserviert werden mussten. Für die Schlachte-Kogge ein Unglücksfall. Denn letztendlich hieß das für die Überreste des Wracks: Unsachgemäße Lagerung, Versäumnisse bei der Dokumentation und misslungene Konservierung.

Das Schlachte-Schiff: Ein echter Sensationsfund

In den ersten Kapiteln des Buches „Das Bremer Schlachte-Schiff“ haben die Autoren nun eine umfassende Bestandsaufnahme der Vorgänge bei Bergung, Dokumentation  und Konservierung vorgenommen. In den folgenden Kapiteln werden die sicher oder vermutlich zum Wrack gehörenden Fundstücke vorgestellt und beschrieben, um sich schließlich mit der Datierung und den Konstruktionsdetails und –Besonderheiten zu befassen.  Auf dieser Basis und der Darstellung bisheriger Diskussionen zur Definition mittelalterlicher Schiffstypen Nordwesteuropas kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass es sich bei dem Schlachte-Schiff eindeutig um eine frühe Kogge oder wenigstens um eine Protokogge handelt. Das Besondere an dieser Koggenvariante: Der Einbaum, der als Basis für die aufgesetzten Plankengänge und als Halterung für das in dieser Zeit noch ungewöhnliche Heckruder dient.

Kalfaterung, Moosseile und andere Merkwürdigkeiten

Mit der Typisierung des Fundes sin aber noch längst nicht alle Fragen, die sich in Zusammenhang mit dem Schlachte-Schiff stellen, geklärt. So diskutieren die Autoren in den Kapiteln „Herkunft des Schlachte-Schiffs und anderer Fahrzeuge“, „Bremische Schifffahrt im 11. - 13. Jahrhundert“ und nicht zuletzt auch in Zusammenhang mit den „Kalfaterungen am Schlachte-Schiff und die Bedeutung der Moos-Seile“ ausführlich den Ursprung des Seeschiffes. Denn Fundort, Bauort und Sitz des Eigentümers müssen ja nicht zwingend gleich sein. Mit der Beschreibung des Baus eines Teilmodells im Maßstab 1:10 und den dabei aufgetretenen Schwierigkeiten endet der publizistische Ausflug in die Welt der mittelalterlichen Seefahrt und der Schiffsarchäologie. Für Fachleute und interessierte Laien ist das Buch eine Fundgrube an Informationen zu den Themenkreisen Kogge, Schiffsarchäologie, mittelalterliche nordwesteuropäische Seefahrt und Schiffbau. Der Fund ist jedenfalls von wenigstens ebenso großer schiffshistorischer Bedeutung wie das auf 1380 datierte und 1962 entdeckte Wrack der „Bremer Kogge“.

Manfred Rech: Das Bremer Schlachte-Schiff. Eine Proto-Kogge mit Heckruder aus der Zeit um 1100. Band 76 der Schriften des Deutschen Schifffahrtsmuseums. Oceanum Verlag 2016.

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