Montag, 23. Mai 2016

Die Geheimnisse des Roten Meeres

Die Geheimnisse des Roten Meeres ist der erste Band der autobiographischen Erlebnisse des französischen Abenteurers Henry de Monfreid. Nach abgebrochenem Ingenieurstudium, Gelegenheitsjobs und knapp zwei Jahren Angestelltendaseins in Abessinien , lässt sich der Künstlersohn im Mai 1913 in Dschibuti (Französische Somaliküste) nieder und beginnt sein eigentliches Abenteurerleben, über dessen erste rund anderthalb Jahre er in Die Geheimnisse des Roten Meeres schreibt.

Monfreids Ausführungen beginnen mit einem Streitgespräch mit dem Gouverneur von Französisch-Somaliland. Der wollte den französischen Abenteurer vom lukrativen Waffenschmuggel abhalten, der Millionen in die Zollkassen spülte. Tatsächlich war die Beteiligung eines Franzosen am in afrikanisch-arabischer Hand befindlichen Waffenschmuggel ein Politikum und ein gefährliches Unterfangen obendrein. Denn mit seinen geschäftlichen Ambitionen geriet er nicht nur zwischen die Fronten der europäischen Kolonialmächte, sondern legte sich ebenfalls mit der etablierten einheimischen Schmugglermaffia an, die erheblichen Einfluss auf die Kolonialverwaltung hatte.

Literarische Abenteuerreise durch das Rote Meer

Dem Leser vermittelt Monfreid die komplexe Lage der Region am Golf von Aden und im Roten Meer in lockerer, eingängiger Art. Als Insider schildert er die Interessen der Kolonialmächte, stellt die mächtigen afrikanisch-arabischen Protagonisten vor und stellt die komplexen Verflechtungen zwischen den zahllosen an Machtkämpfen, Raub, Schmuggel und Handel beteiligten Gruppierungen und Persönlichkeiten dar. Ganz offensichtlich fühlt sich Monfreid von der orientalischen Welt und Mentalität angezogen. Und es ist erstaunlich, welche Kontakte und welches Wissen um die Ethnien, sozialen Strukturen und Denkmuster er in der verhältnismäßig kurzen Zeit angehäuft hat, in der er mit seiner kleinen Dhau an die Küsten des Roten Meeres segelte und sich neben Waffenschmuggel auch  in Perlenzucht und –taucherei übte.

Arabische Seefahrt hautnah

Das Verhältnis des unter dem Namen ‚Abd-el-Hai“ (Sklave der Schöpfung) Reisenden zu den Einheimischen und den Europäern drückt sich in folgendem Dialog mit Gouverneur Pascal aus:
„… Sagen Sie mal, schämen Sie sich nicht, wenn hergelaufene Kulis Sie mit einem hiesigen Namen anreden?“
„Nein, ganz im Gegenteil. Wenn ich aber mir anhören muss, was diese Leute von Europäern halten, dann schmerzt mich das und ich tue mein Möglichstes, um nicht als solcher zu gelten.“
Und das schien ihm durchaus zu gelingen. Unter Somalis und Arabern wie unter Seinesgleichen segelte er auf einer Dhau – seinem Schiffchen, wie er es nannte – durch das Rote Meer, freundete sich mit mächtigen und zwielichtigen Protagonisten der Region an, machte sich andere zum Feinde und bewegte sich wie ein Traumtänzer in der orientalischen Welt, ihren Intrigen und Machenschaften.

Waghalsige Segelmanöver, Verfolgungsjagden, Versteckspiele in der Inselwelt

Ein Traumtänzer war der freiheitsliebende Monfreid mit seiner faszinierenden Beobachtungsgabe und dem für Europäer ungewöhnlichen Einfühlungsvermögen aber nicht, wohl aber ein Draufgänger mit hoher Risikobereitschaft. Mit seinem Schiffchen segelt er mächtigen Verfolgern den Kiel ab, versenkt sein Gefährt, um es den Blicken der Verfolger zu entziehen und kommt, nachdem er das Boot wieder gehoben und repariert hat, auf diese Weise tatsächlich davon. Trickreich ist er und wagemutig und nicht zuletzt auch das eine oder andere mal mit Glück gesegnet. Etwa wenn er durch die unbekannten Inselwelten mit ihren Riffs und Untiefen der Küsten segelt,  in einen Sturm hineinfährt, der ihn und seine Mannschaft beinahe Schiff und Leben kostet oder in eine von seinen mächtigen Kontrahenten gestellte Falle gerät.

Monfreid der orientalische Europäer

Monfreids Abenteuer im Roten Meer sind dicht und packend geschrieben und sie vermitteln eine Menge Informationen über Kulturen, Mentalitäten, Bräuche, soziale Strukturen (einschließlich dem Konzept der orientalischen Sklaverei) und Arbeitsweisen dieser Region, die dem Leser aufgrund der authentischen Schilderungen des Abenteurers lebendig wird. Lebendig, das ist vielleicht das Schlüsselwort zu diesem Buch. Denn es beschreibt auch ein Stück Lebenseinstellung, das sich der Autor offensichtlich zu Eigen gemacht hat: Den nur schwer zu fassenden orientalischen Fatalismus, der nur wenig mit Selbstaufgabe, aber viel mit innerer Freiheit zu tun zu haben scheint. Am Ende des in diesem Buch beschriebenen Lebensabschnitts wird der trickreiche Abenteurer schließlich doch noch Opfer seiner mächtigen Kontrahenten im Waffenschmuggelgeschäft. Von den Kolonialbehörden in Dschibuti wegen Waffenschmuggels ins Gefängnis geworfen, all seines Hab und Gutes beraubt und völlig demoralisiert, entscheidet er sich im März 1915 „freiwillig“ nach Europa zu reisen und in den Krieg zu ziehen.

Ein Abenteurer wie er im Buche steht

Monfreids Schlussbemerkung in Die Geheimnisse des Roten Meeres: „So bitter ist mir ums Herz, dass mir scheint, es sei nicht unser Vaterland, das zu verteidigen wir uns anschicken, sondern die Stellung und die Privilegien der Leute, die ich hier zurücklasse. Doch ich weiß schon, dass ich eines Tages wiederkommen werde …“.
Tatsächlich soll Monfreids Fronteinsatz gerade einmal  ein paar Wochen dauern. Bereits im Juli kehrt er ans Rote Meer zurück und lebt immerhin bis 1947 in der Region, um schließlich nach Frankreich zurückzukehren. 1974 stirbt Henry de Monfreid im Alter von 95 Jahren.

Henry de Monfreid: Die Geheimnisse des Roten Meeres. Unionsverlag 2016. Taschenbuch, 302 Seiten.

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