Jacques
Cartiers Reiseberichte
Bis hinein ins 18. Jahrhundert waren es vor
allem die Franzosen, die Nordamerika für die Europäer erschlossen. Jacques
Cartier war der erste einer langen Reihe französischer Entdecker, der in das
Landesinnere Kanadas vordrang und intensive Kontakte und Handelsbeziehungen mit
der indigenen Bevölkerung aufnahm. Der Spezialist für kanadische und
nordamerikanische Geschichte, Udo Sautter, kommentiert und präsentiert in
seinem Buch „Die Entdeckung Kanadas“ die zeitgenössischen Berichte über die
drei Reisen Cartiers von 1534 bis 1542.
Die
Einleitung mit den historisch-politischen Hintergründen und Zusammenfassungen
der drei Reisen Cartiers ist zweifellos notwendig, denn allein aus den
zeitgenössischen Berichten können diese vom Otto Normalleser nur schwer
erschlossen werden. Erfreulicherweise ist das Buch zudem mit einem kleinen
Kartenwerk ausgestattet, das dem Leser dabei hilft, die schier unendliche
Aufzählung französischer Landmarken-, Küsten-, Länder- Fluss- oder
Inselbezeichnungen geografisch halbwegs einzuordnen. Denn die reinen
Beschreibungen der entdeckten Inseln, Küsten, Gewässer und Kurse, rufen beim
Leser vor allem im ersten Bericht neben gewissen Orientierungsschwierigkeiten naturgemäß
auch Ermüdungserscheinungen hervor. Aber die Reiseberichte der ersten Entdecker
der frühen Neuzeit hatten ja keine Unterhaltungsfunktion sondern waren die
Basis für das Erstellen von Karten, für das Wiederauffinden neuentdeckter Orte,
zur Sicherung von Besitzansprüchen und zur Einschätzung der Ausbeutungs- bzw.
Handelsmöglichkeiten. Und damit bilden die von Udo Sautter herausgegebenen historischen
Berichte einen spannenden Eindruck über Motive, Sicht- und Handlungsweisen nicht
nur des französischen Seefahrers Jacques Cartier.
Historische Dokumente frühneuzeitlicher
Explorationsstrategien
Bereits die Titel
und Zwischenüberschriften der Reiseberichte zeigen, worum es jeweils geht. Im „Bericht über die Reise, die Kapitän Jacques
Cartier im Jahre 1534 nach Kanada unternommen hat“ folgt nach der Beschreibung
der Anreise über die übliche Neufundlandroute der bretonischen Fischer die „Beschreibung
des Landes vom Cap Rouge bis zum Hafen von Brest, der in der Bucht liegt“. Der Titel des Berichtes zur zweiten Reise,
der dem „Allerchristlichsten König“ (Franz I.) gewidmet ist lautet bereits: „Kurzer
Bericht und knappe Erzählung der 1535 und 1536 von Kapitän Jacques Cartier
durchgeführten Seereise zu den Inseln von Kanada, Hochelage und Saguenay und
weiteren, mit der Besonderheit der Gebräuche, Sprache und Zeremonien der
dortigen Bewohner: Sehr erquicklich zu betrachten.“ Der Bericht zur dritten Reise
ist allerdings – ebenso wie der des Oberbefehlshabers dieser Expedition, „Jean-Francois
de la Rocque de Roberval - nicht vollständig erhalten. Er zeigt aber, dass nach
den ersten geografischen Erkundungen, der formellen Inbesitznahme des noch
weitgehend unbekannten Landes für die französische Krone und der ersten Aufnahme
von Handelsbeziehungen zu den indigenen Völkern nun ernsthafte
Kolonialisierungsbemühungen und weitere systematische Erforschungen des
Landesinnern in Angriff genommen werden.
Die europäischen Eroberer: naiv und
erfolgreich
Neben der Explorationsstrategie
zeigen die zeitgenössischen Berichte auch in ihren Formulierungen auf, welchen
Zweck die Erkundungsbemühungen verfolgen und welche moralischen und philosophischen Vorstellungen
diesen zugrunde liegen. So heißt es immer wieder sinngemäß: „wir gaben ihnen
Dinge von geringem Wert über die sie sich sehr freuten und erhielten dafür
jeweils deutlich wertvollere Güter.“ Wichtig schien es auch, zu betonen, dass
sich „das Volk“ leicht zum rechten Glauben bekehren und zu unterwerfen sei.
Verräterisch und bösartig wurden allerdings die Herrscher dargestellt, die sich
nicht den ausbeuterischen Bedürfnissen der Europäer unterwerfen wollten. Dazu
gehörte auch der Anführer Donnacona, der Jacques Cartier und seinen Leuten auf
deren erster Reise einen unerwartet
freundlichen Empfang bereitet und als Gast gewissermaßen in die indigenen
Gesellschaften eingeführt hatte. Ein Fehler, wie sich bald herausstellte. Denn
Cartier nahm den Häuptling und ein paar
seiner Männer schlichtweg gefangen und entführte sie nach Frankreich, wo sie zu
Dolmetschern ausgebildet wurden, um bei der Rückkehr nach Kanada den Interessen
Frankreichs zu dienen. Statt hierfür – wie Cartier wie selbstverständlich
erwartet – dankbar zu sein, entpuppt sich Donnacona – nun in Kenntnis der
Kultur, Denkweise und Absichten seiner Entführer - als verantwortungsvoller
Herrscher seines eigenen Volkes.
Politthriller
Es ist schon
faszinierend, wie sich zwischen den Zeilen der mental so einfach gestrickten
Berichte ein richtiger Politthriller entfaltet. Wer das Buch nicht unter dem
Gesichtspunkt literarische Unterhaltung sondern als authentischen Einblick in
die Vergangenheit (und übrigens die geistigen Grundlagen unseres heutigen abendländischen
Weltverständnisses) betrachtet, kommt bei der Lektüre der „Entdeckung Kanadas“
durchaus auf seine Kosten.
Udo
Sauter: Jacques Cartier. Die Entdeckung Kanadas. Edition Erdmann 2015. Gebunden mit Schutzumschlag, 191 Seiten
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