Donnerstag, 17. September 2015

Die Entdeckung Kanadas



Jacques Cartiers Reiseberichte

Bis hinein ins 18. Jahrhundert waren es vor allem die Franzosen, die Nordamerika für die Europäer erschlossen. Jacques Cartier war der erste einer langen Reihe französischer Entdecker, der in das Landesinnere Kanadas vordrang und intensive Kontakte und Handelsbeziehungen mit der indigenen Bevölkerung aufnahm. Der Spezialist für kanadische und nordamerikanische Geschichte, Udo Sautter, kommentiert und präsentiert in seinem Buch „Die Entdeckung Kanadas“ die zeitgenössischen Berichte über die drei Reisen Cartiers von 1534 bis 1542.


Die Einleitung mit den historisch-politischen Hintergründen und Zusammenfassungen der drei Reisen Cartiers ist zweifellos notwendig, denn allein aus den zeitgenössischen Berichten können diese vom Otto Normalleser nur schwer erschlossen werden. Erfreulicherweise ist das Buch zudem mit einem kleinen Kartenwerk ausgestattet, das dem Leser dabei hilft, die schier unendliche Aufzählung französischer Landmarken-, Küsten-, Länder- Fluss- oder Inselbezeichnungen geografisch halbwegs einzuordnen. Denn die reinen Beschreibungen der entdeckten Inseln, Küsten, Gewässer und Kurse, rufen beim Leser vor allem im ersten Bericht neben gewissen Orientierungsschwierigkeiten naturgemäß auch Ermüdungserscheinungen hervor. Aber die Reiseberichte der ersten Entdecker der frühen Neuzeit hatten ja keine Unterhaltungsfunktion sondern waren die Basis für das Erstellen von Karten, für das Wiederauffinden neuentdeckter Orte, zur Sicherung von Besitzansprüchen und zur Einschätzung der Ausbeutungs- bzw. Handelsmöglichkeiten. Und damit bilden die von Udo Sautter herausgegebenen historischen Berichte einen spannenden Eindruck über Motive, Sicht- und Handlungsweisen nicht nur des französischen Seefahrers Jacques Cartier.

Historische Dokumente frühneuzeitlicher Explorationsstrategien

Bereits die Titel und Zwischenüberschriften der Reiseberichte zeigen, worum es jeweils geht. Im  „Bericht über die Reise, die Kapitän Jacques Cartier im Jahre 1534 nach Kanada unternommen hat“ folgt nach der Beschreibung der Anreise über die übliche Neufundlandroute der bretonischen Fischer die „Beschreibung des Landes vom Cap Rouge bis zum Hafen von Brest, der in der Bucht liegt“.  Der Titel des Berichtes zur zweiten Reise, der dem „Allerchristlichsten König“ (Franz I.) gewidmet ist lautet bereits: „Kurzer Bericht und knappe Erzählung der 1535 und 1536 von Kapitän Jacques Cartier durchgeführten Seereise zu den Inseln von Kanada, Hochelage und Saguenay und weiteren, mit der Besonderheit der Gebräuche, Sprache und Zeremonien der dortigen Bewohner: Sehr erquicklich zu betrachten.“ Der Bericht zur dritten Reise ist allerdings – ebenso wie der des Oberbefehlshabers dieser Expedition, „Jean-Francois de la Rocque de Roberval - nicht vollständig erhalten. Er zeigt aber, dass nach den ersten geografischen Erkundungen, der formellen Inbesitznahme des noch weitgehend unbekannten Landes für die französische Krone und der ersten Aufnahme von Handelsbeziehungen zu den indigenen Völkern nun ernsthafte Kolonialisierungsbemühungen und weitere systematische Erforschungen des Landesinnern in Angriff genommen werden.

Die europäischen Eroberer: naiv und erfolgreich

Neben der Explorationsstrategie zeigen die zeitgenössischen Berichte auch in ihren Formulierungen auf, welchen Zweck die Erkundungsbemühungen verfolgen und welche moralischen und philosophischen Vorstellungen diesen zugrunde liegen. So heißt es immer wieder sinngemäß: „wir gaben ihnen Dinge von geringem Wert über die sie sich sehr freuten und erhielten dafür jeweils deutlich wertvollere Güter.“ Wichtig schien es auch, zu betonen, dass sich „das Volk“ leicht zum rechten Glauben bekehren und zu unterwerfen sei. Verräterisch und bösartig wurden allerdings die Herrscher dargestellt, die sich nicht den ausbeuterischen Bedürfnissen der Europäer unterwerfen wollten. Dazu gehörte auch der Anführer Donnacona, der Jacques Cartier und seinen Leuten auf deren erster Reise einen  unerwartet freundlichen Empfang bereitet und als Gast gewissermaßen in die indigenen Gesellschaften eingeführt hatte. Ein Fehler, wie sich bald herausstellte. Denn Cartier nahm den Häuptling und ein  paar seiner Männer schlichtweg gefangen und entführte sie nach Frankreich, wo sie zu Dolmetschern ausgebildet wurden, um bei der Rückkehr nach Kanada den Interessen Frankreichs zu dienen. Statt hierfür – wie Cartier wie selbstverständlich erwartet – dankbar zu sein, entpuppt sich Donnacona – nun in Kenntnis der Kultur, Denkweise und Absichten seiner Entführer - als verantwortungsvoller Herrscher seines eigenen Volkes.

Politthriller

Es ist schon faszinierend, wie sich zwischen den Zeilen der mental so einfach gestrickten Berichte ein richtiger Politthriller entfaltet. Wer das Buch nicht unter dem Gesichtspunkt literarische Unterhaltung sondern als authentischen Einblick in die Vergangenheit (und übrigens die geistigen Grundlagen unseres heutigen abendländischen Weltverständnisses) betrachtet, kommt bei der Lektüre der „Entdeckung Kanadas“ durchaus auf seine Kosten.

Udo Sauter: Jacques Cartier. Die Entdeckung Kanadas. Edition Erdmann 2015. Gebunden mit Schutzumschlag, 191 Seiten


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