Sagenhafte Kreaturen auf alten Karten von Chet Van Duzer
Wer kennt
sie nicht, die schönen alten Karten mit den phantasievollen Seeungeheuern und
Monstern, die sich zwischen Kontinenten und Inseln tummeln und so manches
Schiff drohen, in die Tiefe zu ziehen. Chet Van Duzer hat sich in seinem Buch
Seeungeheuer und Monsterfische intensiver mit den merkwürdigen Kreaturen auf
historischen Karten befasst und stellt dem Leser teils erwartete, teils
unerwartete Erkenntnisse zur Kartographie des Mittelalters und der Renaissance
vor.
Für uns
stellen die Monster und Seeungeheuer auf alten Karten vor allem oft recht
phantasievolle dekorative Elemente dar, deren ursprüngliche Bedeutung sich auf
den ersten Blick in der Darstellung unbekannter Gefahren in fremden Gewässern
zu erschöpfen scheint. Doch diesen maritimen Schreckgespenstern lassen sich bei
genauerer Betrachtung weitaus mehr Informationen entlocken. So belegt Chet Van
Duzer beispielsweise, dass sich die Kartographen bei der Darstellung der
merkwürdigen Kreaturen nicht nur ihrer Phantasie, sondern auch der jeweils
neuesten wissenschaftlichen Publikationen über die Tierwelt bedient hatten. Hinzu
kommt, dass einige Karten von Ungeheuern nur so wimmeln, zeitgenössische Kopien
gelegentlich völlig ohne das mythologisch-biologische Bedrohungspotential
auskamen.
Seegetier im
biblischen Weltbild
Die Bedeutung
der dargestellten Monster hängt von zahlreichen Faktoren ab. Da wäre zum einen
die Funktion der jeweiligen Karte selbst. Die Ungeheuer der sogenannten Beatuskarten
(entstanden zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert), also Illustrationen zu den
Handschriften des Apokalypsenkommentars des Beatus von Liébana, haben ihre
Aufgabe in der ikonografischen Vermittlung biblischer Texte und eines biblisch-antiken
Weltbildes. Hier findet der Betrachter der mappae mundi (Weltkarten) im
Oceanus, der die dreigeteilte kreisrunde Welt umfließt, beispielsweise zahlreiche
Monster antiker aber auch mittelalterlicher Tradition, Seeschlangen, Sirenen
oder Mensch-Tier-Mischwesen. Und selbstverständlich fehlt auch der Wal des Jonas
nicht.
Auch eine
Frage des Budgets
Dennoch gibt
es für die Karten des betrachteten Zeitraums weder ein festgelegtes Bestiarium,
noch einheitliche Positionierungen, noch ein verbindliches ikonographisches
Programm denen die Kartographen bei der Erstellung oder Kopie ihrer Werke
verpflichtet waren. Die Frage, ob und wieviel Seeungeheuer auf der jeweiligen
Karte hausen durften, hing wohl auch – so vermutet der Autor – vom Geldbeutel
des Auftraggebers ab. Und die auf den Karten verewigten Monster selbst hatten
ihren Ursprung nicht nur in der Mode der jeweiligen Zeit, sondern auch im
Kenntnisstand des Kartographen hinsichtlich der neuesten wissenschaftlichen Publikationen
zum Tierreich. So können sich auf einer Karte gar keine Seeungeheuer finden,
auf einer zeitlich und stilistisch Vergleichbaren desselben oder anderer
Verfasser antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Seeungeheuerdarstellungen
unterschiedlicher Ausführungsqualität.
Vom
Schreckgespenst zum Meerestier
Bei aller
überraschenden Komplexität des Themas und vieler ungeklärter Fragen lassen sich
doch gewisse kulturgeschichtliche Entwicklungen bei den tierischen
Illustrationen erkennen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts (und damit auch dem
Ende der Seeungeheuer auf alten Karten) vermitteln die teils sehr
phantasievollen, teils realistischer werdenden (Wale, Walrosse, Kraken) monströsen
Meereslebewesen nicht mehr die furchterregende Bedrohung, das Ausgeliefert sein
des wagemutigen Seefahrers, sondern die Unterordnung, die Beherrschung der
tierischen und natürlichen Gefahren durch den Menschen. Verständlich, dass „die
Verbesserung der nautischen Technik während des 17. Jahrhunderts und das
zunehmende menschliche Vertrauen ins Erreichen der Herrschaft über die Meere“,
wie es Chet Van Duzer formuliert, die Seeungeheuer schließlich von den Karten
verschwinden ließ.
Spannendes seefahrtsgeschichtliches
Spezialwissen
Seeungeheuer
und Monsterfische ist ein sehr interessantes und anschauliches Buch zu
Ikonografie, Methoden und Quellen
mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Karten, das mehr als nur Wissen über
die maritimen Phantasiewesen vermittelt.
Chet Van
Duzer: Seeungeheuer und Monsterfische. Sagenhafte Kreaturen auf alten Karten. Philipp
von Zabern 2015. Gebunden mit Schutzumschlag, 144 Seiten.
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