Es ist ein spannendes Stück amerikanisch-kanadische Geschichte, die die Autorin des Buches „The Life and Times of the Steamboat ‚Red Cloud’ or How Merchants, Mounties and the Missouri Transformed the West“, Annalies Corbin vor dem Leser ausbreitet.
Corbin ist Unterwasser-Archäologin an der ‚East Carolina University’ und hat mit dem vorliegenden Buch eine wissenschaftliche Publikation abgeliefert, die man aber - einmal in die Zeit der Eroberung des amerikanischen und kanadischen Westens eingetaucht - kaum mehr aus der Hand legen möchte. Das liegt natürlich auch daran, dass nahezu jeder die romantische Seite des ‚Wilden Westen’ kennt und deren Elemente und Klischees bei der Lektüre geradezu zwangsläufig vor dem inneren Auge des Lesers erscheinen. Trotzdem bedient Corbin diese Klischees in keiner Weise, sondern rückt sie durchaus in das teilweise harte Licht der realen Erschließung des kanadischen Westens und dem Drang der Amerikaner und Kanadier im 19. Jahrhundert, mit allen verfügbaren Mitteln bis zur Westküste des Kontinents vorzustoßen.
Die Mississippidampfer des Missouri
Für den Westernfan ist klar, es war die Eisenbahn, die die Erschließung des gewaltigen Kontinents erst möglich gemacht hatte. Die majestätischen Mississippidampfer Mark Twains, dienten scheinbar vor allem den in den Westen strebenden Spielern und Glücksrittern als romantische Salonkulisse. Tatsächlich waren die breiten und flachen Schaufelraddampfer mit ihren markanten Aufbauten und Doppelschornsteinen richtige Arbeitstiere, geradezu die Maulesel des Missouri. Die Eroberung des amerikanisch-kanadischen Westens verlief in ganz unterschiedlichen Phasen und jede dieser Phasen, so beschreibt Annalies Corbin stellte neue Herausforderungen an Transport und Logistik. Die Dampfschifffahrt, zunächst am unteren, in seiner Blütezeit im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts auch am oberen Missouri hatte sich bis zu ihrem Ende gegen die Eisenbahn behaupten können. Dass dies nicht zuletzt auch dem amerikanischen Unternehmergeist zu verdanken ist, zeigt beispielhaft das Handels- und Transportunternehmen I.G. Baker & Company. Das Schicksal des Flaggschiffs dieser Gesellschaft, die ‚Red Cloud’ dient der Autorin dazu, die komplexen ökonomischen, logistischen und politischen Prozesse dieser aufregenden Epoche darzustellen, die ohne die Güter- und Warenströme, die die Raddampfer der Missouri-Linien unermüdlich in kanadischen Westen gebracht hatten, wohl einen anderen Verlauf genommen hätte.
Trapper, Büffel und Mounties
Im Buch begegnet der Leser den Trappern und Goldsuchern, Büffeljägern und Glücksrittern, den Siedlern und Arbeitern, den in die Reservate verbannten Indianern und Mounties, der legendären Polizeitruppe Kanadas. Sie alle hatten ihren Weg in den Westen und die kanadischen North West Territories vor allem über die Schiffe des Missouri gefunden und waren von diesen auch mit Gütern und Waren versorgt worden. Und insbesondere die Mounties, die nicht nur per Regierungsvertrag von der Baker-Company Jahrzehnte lang mit Ausrüstung, Lebensmitteln und Baumaterialien versorgt wurde, hatten ein ganz besonders inniges Verhältnis zur ‚Red Cloud’ und ihrer Mannschaft. Trotz der Wissenschaftlichkeit des Buches, gelingt es der Autorin durch Einbeziehen von zeitgenössischen Dokumenten, Zitieren von Passagierberichten, zeitgenossischen Fotos und Zeichnungen die Prozesse lebendig zu machen. Und es sind immer wieder die Ladungslisten, die dem erstaunten Leser vermitteln, was da alles – von Fellen, über Vieh, Lebensmitteln und Kleidung bis zu Möbeln und Luxusgütern - in den und aus dem Westen geschafft wurde.
Das Schicksal der ‚Red Cloud’
Der Untergang der ‚Red Cloud’ am 11. Juli 1882, rund 200 Meilen unterhalb des logistischen Dreh- und Angelpunktes Fort Benton, dokumentiert nicht nur den Niedergang der lukrativen Missouri-Schifffahrt und Fort Bentons, sondern auch die Schwierigkeiten dieser Gewässer. Der Missouri war ein zwar breiter, aber auch sehr flacher, ungebändigter wilder Fluss, mit Stromschnellen, Sandbänken, Untiefen, Hoch- und Niedrigwasser, treibenden Baumstämmen und ständigen Veränderungen der Fahrrinne, der nicht einmal das ganze Jahr über befahrbar war. Und so waren nicht nur Havarien und Schiffsverluste an der Tagesordnung, sondern auch Verspätungen durch Niedrigwasser oder aber die Tatsache, dass gerade eine gewaltige Büffelherde den flachen Fluss durchquerte, wie Corbin erwähnt.
Noch heute liegt die ‚Red Cloud’ wie Hunderte anderer Wracks vergraben unter einer Sandbank neben dem gewanderten Flussbett des Missouri. Diese Schiffe sind zentrale Dokumente einer 100jährigen Epoche und es ist vor diesem Hintergrund kein Zufall, dass ausgerechnet eine Unterwasserarchäologin in Rahmen der schiffsarchäologischen Serie der Ed Rachal Stiftung bei der Texas A&M University Press über die Eroberung des amerikanischen und kanadischen Westens publiziert.
Annalies Corbin: The Life and Times of the Steamboat ‘Red Cloud’ or How Merchants, Mounties, and the Missouri Transformed the West. Texas A&M University Press 2006.
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