Unterwasser-Denkmalschutz und Schiffswracks in der Tiefsee des Englischen Kanals und des Atlantischen Ozeans sind die Schwerpunkte des 2011 erschienenen zweiten Bandes der Oceans Odyssey Reports der amerikanischen Meeresforschungsgesellschaft Odyssey Marine Exploration (OME).
Es gibt gute Gründe, die private Schatztaucherei mit ihrer Plünderung und Zerstörung von unwiederbringlichen Kulturgütern zu bekämpfen. Und nicht zu Unrecht hatte die UNESCO 2001 die Konvention zum Schutz der Unterwasser-Kulturdenkmale verabschiedet, die bestimmte Standards im Umgang mit Schiffswracks festlegte. Nicht nur das in der Konvention verankerte Primat des „in situ“ –Erhaltes und absoluten Bergungsverbotes von Artefakten jeder Art wenn die zerstörungsfreie und wissenschaftlich umfassende Dokumentation eines Wracks nicht garantiert werden kann, entwickelte sich zu einer emotionsgeladenen Auseinandersetzung zwischen Interessensvertretern ganz verschiedener Herkunft.
Kommerzielle Schatzsuche oder
In Oceans Odyssey 2 stellen die Herausgeber Greg Stemm und Sean Kingsley zunächst die kontroverse Debatte zur kommerziellen Archäologie anhand von Positionspapieren vor, die Grundlage einer „Runde-Tisch-Diskussion“ im Jahre 2010, an der Archäologen, Universitätsprofessoren, Rechtsanwälte und Geschäftsleute beteiligt waren. Natürlich darf man erwarten, dass die Publikation einer Aktiengesellschaft, deren Ziel naturgemäß in der Hebung und Verwertung von Schätzen besteht, nicht ganz neutral bei dem Thema ist. Aber die Lektüre der acht Papiere lässt den Leser erfreulich offen in die Komplexität der Probleme eintauchen. Denn es geht bei der Unterwasserarchäologie und den damit verbundenen Aspekten nicht nur um wissenschaftliche Fragen. Und während sich die beteiligten Parteien im Prinzip darüber einig sind, dass es keine einfachen, allgemeingültigen Lösungen geben kann, scheiden sich die Geister über den Umgang mit Eigentumsrechten, nationalen Ansprüchen, Finanzierungsmodellen von archäologischen Kampagnen, Publikumspräsentation und vieles andere mehr.
Kommerzielle Archäologie
Keine Frage ist, dass die kommerzielle „Schatzsuche“ nach dem Muster der Odyssey Marine Exploration (OME) längst fester und wichtiger Bestandteil der Unterwasserarchäologie ist. Vor allem dann, wenn es um Schiffswracks geht, die in großen Tiefen nur mit extremem technologischen Aufwand archäologisch untersucht werden können. OME-Geschäftsführer Greg Stemm liefert im zweiten Paper des Buches auch gleich ein Modell für das Museum der Zukunft, mit virtuellen Sammlungen und privaten Kuratoren, das auf kommerzieller Basis die öffentliche Präsentation geborgener archäologischer Schätze sicherstellen soll. Die Vorschläge und Konzepte orientieren sich zwar an den Problemen der amerikanischen Museumslandschaft und sind somit nicht so ohne weiteres auf Europa übertragbar, Anregungen und Denkanstöße für unsere Denkmalpflege, Museumskonzepte und Möglichkeiten von Publikumspräsentationen liefert das Paper allemal.
Zollstock, Kanonen und Privateers
Wie bereits im ersten Band der Ocean Odyssey Papers darf sich der Leser bei den folgenden Papieren auf einen umfassenden Leistungsnachweis seriöser wissenschaftlich dokumentierter kommerzieller Archäologie freuen. Da wird beispielswiese das unscheinbare, etwa 30 cm lange faltbare Zimmermanslineal aus dem 17. Jahrhundert vorgestellt, das OME 2006 vom Fundort 35F, westlich des englischen Kanals geborgen hatte. Ganz erstaunlich, was für Informationen über solch ein „Stück Holz“ zu vermitteln sind, wen man es in seinen archäologischen und historischen Zusammenhang stellt.
Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Kanonen der HMS Victory des Admiral Balchin, natürlich ebenfalls von OME entdeckt, geborgen und konserviert.
Ein interessantes und noch verhältnismäßig wenig publiziertes Kapitel der Schifffahrtsgeschichte sind die Schiffe und die politisch, juristisch, kommerziellen Rahmenbedingungen der Privateers. Diese kommerziellen Kriegsparteien in den Auseinandersetzungen historischer Konflikte, die Kaperer, sind Inhalt der Papers 6 und 7. Anlass für die intensive historische Auseinandersetzung mit dem Thema war der Fund der La Marquise de Tourny, eines französischen Privateers aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, deren eindeutige Identifizierung durch die Bergung der Schiffsglocke erfolgte.
Das Jacksonville ‚Blue China‘ Schiffswrack
Das 2003 entdeckte Jacksonville `Blue China` Schiffswrack, das in anderem Zusammenhang bereits Gegenstand der Ocean Odyssey Papers 1 war, erfährt im Rahmen der Papiere 8 bis 11 eine ausführliche Würdigung. Zunächst wird dem Leser eine ausführliche archäologische mit Fotos und Grafiken veranschaulichte Dokumentation des Fundortes, des Umfeldes und der Funde präsentiert. Die Auswertung der Untersuchungen und der Notbergungen an der durch Schleppnetze weitgehend zerstörten Fundstelle lassen, auf einen amerikanischen Küstenschoner aus der Mitte des 19. Jahrhunderts schließen. Auch die Artefakte der Ladung des Schoners, der möglicherweise während der Stürme des Jahres 1854 gesunken ist, erzählen – ähnlich wie bei der in der Nähe gefundenen SS Republic – in Zusammenhang mit zeitgenössischen Dokumenten ein spannendes Stück amerikanischer Wirtschafts- und Kulturgeschichte.
Die U-Boote des 2. Weltkriegs
Im Juli 2008 unternahm OME eine Expedition zur Identifizierung von sechs deutschen U-Booten, die im zweiten Weltkrieg im englischen Kanal und vor der nördlichen Küste von Cornwall gesunken waren. Fünf dieser U-Boote konnten durch den Einsatz des OME-Tauchroboters Zeus als U 325, U 400, U1021 und U 1208 identifiziert werden. Mit dem Paper „The ‚Atlas‘ Survey Zone: Deep-Sea Archaeologie & U-Boat Loss Reassessments schließt das Buch Oceans Odyssey 2, das ebenso wie sein Vorgänger nicht zuletzt wegen seiner leicht verständlichen Sprache nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch für interessierte Laien eine echte Bereicherung ist.
Greg Stemm, Sean Kingsley (Hrs.): Oceans Odyssey 2, Underwater Heritage Management & Deep-Sea Shipwrecks in the English Channel & Atlantic Ocean. Oxbow Books 2011. Gebunden, 354 Seiten.
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