Mit Oceans Odyssey, Reports 1 präsentiert das amerikanische Unternehmen Odyssey Marine Exploration (OME) einen Teil seiner meeresarchäologischen Aktivitäten der letzten Jahre in Buchform.
Schon in der Vergangenheit konnte man auf der Homepage des Unternehmens die umfangreichen wissenschaftlichen Dokumentationen zu den jeweiligen Wrackfunden einsehen und sich als OME Reports kostenlos herunterladen. Mit der Buchreihe Oceans Odyssey Reports ergänzt die amerikanische Aktiengesellschaft, die sich unter anderem auf das Aufspüren, die wissenschaftlich-archäologische Dokumentation und die Verwertung von Schiffswracks beziehungsweise deren Ladung spezialisiert hat, ihre publizistischen Anstrengungen.
Die SS Republic eine Zeitkapsel aus dem amerikanischen Bürgerkrieg
Die OME Reports im Buch Oceans Odyssey Reports 1 umfassen die Dokumentationen der Wracks und Fundplätze, die in den vergangenen Jahren in den Medien für Aufmerksamkeit gesorgt und sich im Einzelfall archäologisch und kommerzielle als recht ergiebig erwiesen hatten. Allen voran nimmt das bislang wohl wichtigste OME-Projekt, die SS Republic mit seinen 5 Aufsätzen rund die Hälfte des Buches ein. In Verbindung mit zeitgenössischen Berichten ist das Wrack der SS Republic, ein Schaufelraddampfer mit einer wechselhaften Geschichte zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges, eine wahre Zeitkapsel. Und so gibt die Hightech Untersuchung der Überreste des 1865 in einem Sturm gesunkenen Schiffes eine Fülle von Informationen zu ganz erstaunlichen Themenbereichen. Am Naheliegendsten mögen dabei noch die technischen Aspekte sein, die sich dem Betrachter bei der Auswertung der Seitenradarbilder und Tauchroboteraufnahmen, die zu einem eindrucksvollen Photomosaik zusammengefügt wurden.
Einen großen Teil der Republic-Berichte nimmt jedoch die Ladung ein. Natürlich liegt auf den ersten Blick die Begeisterung für den gewaltigen Schatz an Gold- und Silbermünzen nahe, den die Republic zur Ankurbelung der nach dem Krieg darniederliegenden Südstaatenökonomie an Bord hatte. Viel spannender sind aber die Medizinflaschen, Flaschen mit Lebensmitteln, Kosmetika, Alkoholika, Porzellanwaren, religiöser Objekte und vieler anderer Alltagsgegenstände, durch die man sich ein hervorragendes Bild von Leben, Glauben, Ökonomie und der Kultur der amerikanischen Nachbürgerkriegs- und Gründerzeit machen kann.
In situ- Konservation oder Abbergen – der Archäologenstreit
Sicher nicht zufällig schließt sich das Paper „The Jacksonville `Blue China‘ Shipwreck the Myth of Deep-Sea Preservation“ an. Denn kommerzielle archäologische Aktivitäten, sogenannte „Schatztaucherei“, ist wissenschaftlich natürlich umstritten. Umstritten ist ebenfalls, wie man mit Wrackfunden auch Erhaltungssicht umgehen sollte. Ab einer bestimmten Tiefe, so die Auffassung von Archäologen sei die beste Möglichkeit, ein Wrack der Nachwelt zu erhalten, eine zerstörungsfreie Dokumentation und das Belassen der Überreste „in situ“. Das Abbergen von Gegenständen oder gar das Bergen eines interessanten Wracks wir daher meist abgelehnt.
Am Beispiel der oben angesprochenen Fundstelle, hinter deren Bezeichnung sich ein 2003 von OME untersuchtes Wrack vermutlich aus dem 19. Jahrhundert verbirgt, wird deutlich, dass diese von der OME als eher politisch eingestufte Prämisse der Meeresarchäologie, die sich auf Artikel 2.5 der UNESCO-Konvention zum Schutz von Unterwasser-Kulturdenkmalen stützt, kein Dogma sein darf. Das in immerhin 350 Metern Tiefe liegende Wrack war nämlich zu mehr als 75% von Schleppnetzen zerstört, die Ladung so über den Meeresboden verteilt, dass eine archäologisch korrekte Zuordnung nicht mehr möglich war. 2005 wurden die kläglichen Überreste in einer Notbergung gesichert.
Die Technik der Tiefseearchäologie
Die erste Tiefsee-Wrack-Untersuchung im Mittelmeer durch OME illustriert technologische Seite der Arbeit des Meeresforschungsunternehmens. Am Beispiel der Untersuchung des Wracks der HMS Sussex werden hier das OME-eigene Forschungsschiff, die Odyssey Explorer, der Tauchroboter Zeus und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen näher vorgestellt.
Sehr eindrucksvoll ist auch die folgende Bestandsaufnahme der Zerstörungen an den Schiffswracks im englischen Kanal und den westlichen Gewässern durch die Tiefsee-Fischerei. Interessant nicht nur wegen der anschaulichen Grafiken und Fotos, sondern auch durch die Darstellung der verschiedenen Fischereitechniken und ihre Folgen für die Umwelt.
HMS Victory, archäologisches Highlight der OME
Am Ende des ersten Bandes Oceans Odyssey Papers die neuesten Erkenntnisse zu dem Fund, der Anfang 2008 in den interessierten Kreisen für mächtiges Aufsehen gesorgt hatte: die HMS Victory des Admiral Balchin, die am 5. Oktober 1744 in einem Sturm untergegangen war.
Angesichts der sehr sinnvoll aufeinander abgestimmten OME-Papiere und der Qualität der Fotos und wissenschaftlichen Fotodokumente, ist das Herunterladen der ebenfalls mit den Fotos ausgestatteten PDF-Dateien von der Odyssey-Homepage sicherlich keine Alternative zum Buch.
Greg Stemm, Sean Kingsley: Oceans Odyssey, Deep-Sea Shipwrecks in the English Channel, Straits of Gibraltar & Atlantic Ocean. Oxbow Books 2010. Gebunden, 288 Seiten.
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