Wer an Kreuzzüge denkt, hat oft die Ritterheere mit ihrem Tross vor Augen, die sich durch staubige Wüsten und unwirtliches Gelände quälten, bevor sie das Heilige Land erreichten. Tatsächlich aber ging es immer über das Wasser, wie Georg-Michel Fleischer in seinem Buch Ritter auf dem Meer verdeutlicht.
Auch wenn sich die Heere der ersten beiden Kreuzzüge über den Landweg ins Heilige Land quälten, über das Wasser mussten auch sie, spätestens bei den Dardanellen. Als sich aber unter anderem mit Genua und Venedig neue mittelmeerische Seemächte mit leistungsfähigen Transportflotten entwickelt hatten und es den Kreuzfahrern gelungen war, zeitweise auch noch die Levantehäfen zu erobern, da gab es weder zum Seetransport von Kämpfern und Ausrüstung noch zur Versorgung der christlichen Heere über das Meer eine echte logistische Alternative. Die Kreuzzüge und auch die Pilgerreisen entwickelten sich für die christlichen Mittelmeeranrainer zu einem zwar hochriskanten, aber auch lukrativen Wirtschaftszweig. Da ging es nicht nur darum, an den „fahrenden Rittern und Pilgern“ nebst deren Versorgung zu verdienen, sondern im Zusammenhang mit den christlichen Eroberungen einerseits und durch den Handel mit den Ungläubigen andererseits auch um generelle Handelsprivilegien, um den auf- und Ausbau von Handelsnetzen und Einflusssphären der italienischen Seerepubliken.
Das Mittelmeer als maritimer Handlungsraum
Sehr anschaulich vermittelt Georg-Michael Fleischer, dass Erfolg oder Scheitern der Kreuzzüge vor allem von der Versorgung der christlichen Truppen in Feindesland über das Meer abhing. Ausschlaggebend waren letztendlich neben den kommerziellen Interessen der Seerepubliken, die komplexen maritimen Kräfteverhältnisse im Mittelmeerraum insgesamt. Und die waren, wie die Kapitel „Der Ursprung aller Seefahrt“ und „Neue maritime Machtzentren am Mittelmeer“ aufzeigen, bereits seit der Bronzezeit, erst recht aber im mittelalterlichen Betrachtungszeitraum einem ständigen Wandel unterzogen. Die Bedeutung des Seewesens für die Entwicklung der Kulturen des europäisch-asiatisch-afrikanischen Binnenmeeres wird erst bei der Betrachtung des Mittelmeers als Handlungsraum deutlich. Und so beschreibt Fleischer ganz zu Anfang seines Buches die Meeresräume und Küsten, das Klima und die Winde, die das Gewässer zwischen den Kontinenten zu einem einzigartigen Kommunikationsmedium machte, das durch seine konkreten natürlichen Rahmenbedingungen auch die Dynamik des kulturellen Austauschs mitbestimmte.
Vielfalt der mittelalterlichen Schiffstypen
Teil II: Seemacht und Seegeltung im Gang der Geschichte (1096 – 12919) beschreibt die Seekriegshandlungen und Schiffsbewegungen während und außerhalb der Kreuzzüge, darunter auch das denkwürdige venezianische Engagement im Rahmen des 4. Kreuzzuges, die normannisch-sizilianische Seemacht und natürlich die Seekriege der italienischen Seerepubliken untereinander. Erstaunlich wenig werden dabei allerdings die maritimen Aktivitäten der Johanniter berücksichtigt.
Teil III Seewesen im Mittelalter befasst sich mit den teils rasanten Entwicklungen des mittelmeerischen Schiffsbaus in Zusammenhang mit den neuen Anforderungen, die der gigantische Militärtransport im Rahmen der Kreuzzüge an die Schiffe stellte. Da ist dann von Schiffstypen die Rede, von denen selbst der Marinehistoriker der sich bislang noch nicht intensiv mit dem Mittelmeerraum auseinandergesetzt hat bislang kaum etwas gehört hat. Da wird die spannende Entwicklung der altertümlichen Galeere zur hochsee- und sogar atlantiktüchtigem Handelsgaleere beschrieben und – ein Beleg für die Sorgfalt mit der der Autor die zeitgenössischen Quellen auf ihre maritimen Inhalte hin untersucht hat – hier findet sich auch die Erklärung was es mit der mittelalterlichen Korvette auf sich hat. Dieser Begriff sollte nämlich eigentlich nicht in den mittelalterlichen Quellen auftauchen, schließlich handelt es sich hier um einen Schiffstyp, der eigentlich erst seit dem 17. Jahrhundert bekannt ist.
Seefahrt mit Gestank und Enge
Letztendlich führt Fleischer so ziemlich alles auf, was – bezogen auf das Mittelmeer – mit der Seefahrt zu tun hat. Er stellt die Pferdetransporter als mittelalterliche Landungsboote, die nautische Revolution, Schifffahrtsrouten, Handelsgüter, die Entwicklung des Seerechts und nicht zuletzt das Seeversicherungswesen oder Seesignale vor. Und selbstverständlich gehören auch die konkreten Reisebedingungen, also Unterkunft, Verpflegung, Krankheit und Tod zu der umfassenden Übersicht über die mittelalterliche Seefahrt im Mittelmeer. Und im Kapitel „Das Leben an Bord“, scheint dann auch der studierte Mediziner im Autor durch die Zeilen, etwa wenn von der medizinischen Versorgung, dem medizinischen Kenntnisstand im Mittelalter, von Hygiene oder auch der Konservierung beziehungsweise Teilbestattung Verstorbener die Rede ist. Auch das, wie so ziemlich jeder in diesem Buch behandelte Aspekt, ein Thema, mit dem sich ein eigenes Buch füllen lassen würde.
Ein Überblickswerk für den interessierten Laien
„Ritter auf dem Meer“ ist ein außerordentlich interessantes Buch, dessen Stärke gleichzeitig seine Schwäche ausmacht. Fleischer hat nach eigener Aussage erstmals die zeitgenössischen Mitteilungen über den Verlauf der Kreuzzüge und andere Quellen auf ihren marinehistorischen Gehalt hin ausgewertet und bei der Fülle der Aspekte, die in dem Buch behandelt werden, gibt es keinen Grund daran zu zweifeln. Aber genau die Breite mit der das scheinbar beschränkte Thema „Ritter auf dem Meer“ in Zusammenhang mit den Kreuzzügen abgehandelt wird, lässt den Historiker ein wenig Tiefe bei den Einzelaspekten vermissen. Aber Fleischer richtet sich mit seinem Buch bewusst nicht an den Historiker, sondern den an der Seefahrtsgeschichte und der mittelalterlichen Geschichte interessierten Leser. Und der erhält mit diesem Buch einen sehr soliden Überblick und tatsächlich ganz neue Einblicke und auch Perspektiven in das mittelalterliche Kreuzzugsgeschehen und die mittelmeerische Seefahrt, deren Facetten er über die im Literaturanhang aufgeführten Werke bei Bedarf vertiefen kann.
Georg-Michael Fleischer: Ritter auf dem Meer. Seemacht und Seewesen zur Zeit der Kreuzzüge. Philipp von Zabern, 2011. Gebunden, 248 Seiten.
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