Eigentlich sollte die HMS Warrior nur eine Antwort auf das französische Panzerschiff La Gloire sein. Aber diese Antwort war so konsequent, dass Frankreich den Wettlauf um die Beherrschung der Weltmeere für immer verloren hatte, wie Andrew Lambert in seinem Buch über die HMS Warrior darstellt.
Obwohl Frankreich und Großbritannien Verbündete im Krim-Krieg (1854- 1856) waren, lieferten sie sich ein maritimes Wettrüsten. In den Jahren 1857/58 zogen die Franzosen mit ihren hölzernen Dampflinienschiffen sogar zahlenmäßig mit den Briten gleich. Die Dampflinienschiffe waren allerdings nach wie vor ein konservatives Konzept. Denn sie unterschieden sich – abgesehen von ihrer Größe – äußerlich kaum von den mächtigen Schlachtenseglern der Nelsonzeit mit ihren mehr als 100 in Reih und Glied auf drei übereinanderliegenden Decks angeordneten Geschützen. Lediglich ein recht unscheinbarer Schornstein zeigte den Einsatz der Dampfmaschine als eine Art Hilfsantrieb für besondere Fälle an. Die neben den 32-Pfünder Hauptgeschützen eingesetzten 8-Inch Kanonen, die Sprenggranaten verschießen konnten, deklassierten ein traditionelles Linienschiff wie Nelsons HMS Victory allerdings völlig.
Frankreich und England kämpfen um die maritime Vorherrschaft
Bereits 1820 hatten die Franzosen Geschütze auf ihren Schiffen eingeführt, die Granaten, also Sprenggeschosse, abfeuern konnten: die Briten zogen nach. In den späten 1840er Jahren bauten die Franzosen mit der Le Napoleon das erste Linienschiff mit (Hilfs-)Dampfmaschine: Die Briten zogen mit der 1852 gebauten HMS Agamemnon nach. Mehr als 100 solcher Linienschiffe wurden insgesamt auf beiden Seiten zwischen 1850 und 1860 auf Kiel gelegt oder nachträglich mit Dampfmaschinen ausgestattet.
Ab 1855 bauten die Franzosen keine hölzernen Linienschiffe mehr, sondern setzten ganz auf gepanzerte Schiffe. 1859 lief die dampfbetriebene, bis unter die Wasserlinie mit Eisenplatten gepanzerte La Gloire vom Stapel: die Briten antworteten mit der HMS Warrior in einer Art, die, so Andrew Lambert, die ganze damalige Überlegenheit ihrer industriell-technologischen Kapazitäten gegenüber allen anderen Nationen dokumentierte.
Mit der HMS Warrior demonstrieren die Briten ihre weltweite industrielle Vormachtstellung
Es war kein Zufall, dass die Gloire aus einem gepanzerten Holzrumpf bestand, während ihre britische Antwort ganz aus Eisen konstruiert war. Für den Bau seegehender eiserner hochseefähiger Schiffe fehlten der Kontinentalmacht Napoleon III. nicht nur die notwendigen Ressourcen an Rohstoffen und Industrie, sondern auch die entsprechenden Erfahrungen ihrer Ingenieure. Die Briten ihrerseits hatten mit den Passagierschiffen Great Britain (1843) und Great Eastern (1857) längst unter Beweis gestellt, wie leistungsfähig britische Werften und Ingenieure beim Bau hochseefähiger Eisenschiffe waren. Und während sich die hölzernen Linienschiffe aller Seiten im Krimkrieg noch ihre traditionellen Gefechte lieferten, transportierte das zukunftsweisende eiserne Passagierdampfschiff Great Britain rund 44.000 Soldaten auf die Schlachtfelder der Krim. Mit knapp 100 Metern war sie übrigens länger als das größte britische Linienschiff jener Zeit.
Auch die La Gloire hatte mit immerhin rund 85 Metern für die damalige Zeit durchaus beachtliche Ausmaße, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Grenzen des Holzschiffsbaus mit knapp über 100 Metern inzwischen erreicht waren. Allein mit ihren beinahe 130 Metern Länge zeigte die Warrior die Perspektiven des Baus eiserner Kriegsschiffe auf. Für die Franzosen war das britische Schiff das Signal, dass sie den Rüstungswettlauf zur See endgültig verloren hatten. Die HMS Warrior war größer, schneller, kampfkräftiger und stabiler als alle anderen Kriegsschiffe jener Zeit und ihre Panzerung machte sie gegenüber der der damals vorhandenen Artillerie unverwundbar.
Die Warrior und die Gloire stellen – frei nach Clausewitz - die Fortführung der Politik mit technischen Mitteln dar
Das Buch „HMS Warrior 1860“ beschreibt zunächst die verschiedenen Entwicklungen, die zum revolutionären Konzept des britischen Panzerschiffs geführt haben. Dazu gehören auch die Erfahrungen der Engländer im britisch-amerikanischen Krieg von 1812 und die mächtigen US-Dampffregatten mit Schraubenantrieb der Merrimac-Klasse aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges. Detaillierte Vergleiche zwischen der La Gloire und der Warrior zeigen den Gegensatz zwischen der französischen Herausforderung und der britischen Antwort. Dabei wird die Schlussfolgerung des Autors nachvollziehbar nach der die Gloire das letzte Glied in der Entwicklung der traditionellen Linienschiffe, die Warrier das erste Glied der neuen Entwicklung hin zu den mächtigen Panzerkreuzern der beiden Weltkriege darstellt.
Erfreulicherweise beschränkt sich das Buch nicht auf die technischen Details der Schiffe. Der Autor Andrew Lambert schildert ebenso das politische, marinestrategische, technologisch-ökonomische Umfeld und die Einstellungen und Ziele der Verantwortlichen beider Seiten, die letztendlich zu den konkreten technologischen Lösungen führten, die sich in den beiden Schiffen manifestierten.
Wie das stolze Panzerschiff des 19. Jahrhunderts bis heute überlebt hat
Der aktive Dienst der Warrior verlief ohne Gefechte. Fand sie in den ersten Jahren als Teil der Kanalflotte allein aufgrund ihrer Überlegenheit keinen Gegner, der sich mit ihr messen konnte, übernahm sie später vor allem repräsentative Aufgaben. Bereits Ende der 1860er Jahre war die HMS Warrior ohnehin nicht mehr das mächtigste Schiff der britischen Flotte. Viele und vor allem lange – bisweilen mehrjährige - Aufenthalte im Dock zur Überholung und Modernisierung bestimmten ihre Laufbahn ebenso wie diverse Reisen als Flaggschiff der Reserveflotte, überwiegend in Krisengebiete, um Stärke zu demonstrieren.
Stärke demonstrieren und Abschreckung gehörten also zu den Hauptaufgaben des Schiffes, das schließlich um 1900 in Vergessenheit geraten war. Als Werkstattschiff, und zuletzt als schwimmendes Treibstofflager Oil Fuel Hulk C77 überlebte die Warrior bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Das war die Zeit, in der die Idee entstand, die Warrior als bedeutendes historisches Schiff zu erhalten. Andrew Lambert beschreibt die Geschichte der „Wiederauferstehung“ des faszinierenden Panzerschiffes in allen Details. Von der Gründung des in diesem Zusammenhang so wichtigen National Maritime Trust, über das Engagement einflussreicher Persönlichkeiten, das Sammeln des Geldes für die Überführung und Restauration des Schiffes. Die Geschichte der Restauration der alten Warrior ist zweifellos spannender als der aktive Dienst in ihren besten Jahren. Und so ist es kein Wunder, dass sich die folgenden Kapitel mit jedem Detail, von Rumpf und Panzerung, über die Bewaffnung, die Maschine bis hin zum Maschinentelegrafen befassen. Spannend ist das Kapitel vor allem auch deshalb, weil sich trotz aller Um-und Ausbauten unter den Unmengen von Müll und Farbschichten unerwartet viel von der ursprünglichen Substanz und Ausrüstung erhalten hat.
HMS Warrior 1860 ist ein schönes Buch über die Geschichte eines faszinierenden Schiffes
Am 16. Juni 1987 lief das komplett in seinen Zustand von 1860 zurückversetzte Panzerschiff wieder in seinen ehemaligen Heimathafen Portsmouth ein, um dort neben dem Tudorschiff Mary Rose und dem dienstältesten britischen Flaggschiff, Admiral Nelsons HMS Victory als weitere Attraktion des Portsmouth Historic Dockyard endgültig vor Anker zu gehen. Wie kaum ein anderes Schiff repräsentiert die HMS Warrior Schiffbau-, Industrie-, Militär- und Weltgeschichte gleichermaßen. Andrew Lambert ist es gelungen, dieses Spektrum in seinem Buch einzufangen. Dabei spielen nicht nur die zahlreichen, zum Teil seltenen Fotos eine Rolle, sondern auch die ausführlich zitierten Dokumente der Admiralitäten, historische Konstruktionspläne, aktuelle Rekonstruktionspläne und technische Detailzeichnungen eine Rolle.
Andrew Lambert: HMS Warrior 1860. Victoria’s Ironclad Deterrent. Conway 2011. Gebunden mit Schutzumschlag. 224 Seiten./em>
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