1686 lief die La Belle in einem Sturm vor der Texanischen Küste auf Grund. Damit wurden die Träume des französischen Adeligen La Salle von einer französischen Kolonie zunichte gemacht. Die historischen Hintergründe, die Entdeckung und Hebung des Schiffes sind Gegenstand des Buches „From a Watery Grave“.
Bereits die Wahl des Titels „From a Watery Grave“ zeigt, dass sich das Buch über die Entdeckung und Hebung der La Belle ganz bewusst an ein breites Publikum richtet. Aber auch wenn „Aus einem nassen Grab“ nicht gerade dem typisch akademischen Jargon entspricht, an der Kompetenz der Autoren und der wissenschaftlichen Korrektheit der Ausführungen besteht kein Zweifel. Immerhin ist James Bruseth Direktor der archäologischen Abteilung der Texanischen Historischen Kommission sowie Leiter und Chefforscher des La Belle-Grabungs- und Bergungsprojektes. Toni Turner ist freier Autor und einer der Geldbeschaffer für die archäologische Kampagne; er war in vielfältiger Weise an der Entdeckung des Wracks beteiligt.
La Salle wollte den größten Teil des nordamerikanischen Kontinents zur französischen Kolonie machen
Mit dem Ziel, die im Golf von Mexiko vermutete Mündung des Mississippi zu finden, und dort eine feste Siedlung einzurichten, segelte René Robert Cavelier de La Salle 1684 im Auftrag Ludwig XIV. in die neue Welt. Mit diesem Stützpunkt sollte das Land zwischen dem spanischen Einflussbereich im Süden, Neufrankreich (Kanada) im Norden und den englischen und holländischen Siedlungen an der Küste unter französische Kontrolle gebracht werden. Damit wären nicht nur die spanischen Silberminen in greifbarer Nähe, sondern über den Transportweg Mississippi könnten die Pelze aus dem arktischen Norden Kanadas dann auch ganzjährig nach Europa verschifft werden. Keine Frage: La Salle war in vielerlei Hinsicht der richtige Mann für das Unterfangen. Immerhin so erfährt der Leser in der lebendigen und detaillierten Biografie und Expeditionsbeschreibung der ersten Kapitel, hatte der umtriebige Entdecker bereits 1682 von den großen Seen aus den Mississippi bis zur Mündung bereist.
La Salle war ein vom Ehrgeiz getriebener Visionär, der sich auch nicht durch den Widerstand der Jesuiten und Kolonisten Kanadas, die um ihr einträgliches Pelzmonopol fürchteten, von seinen Plänen abbringen ließ. La Salle war zudem ein sehr systematisch und planmäßig arbeitender Mensch, wie sich auch bei den historischen und archäologischen Forschungen der texanischen Wissenschaftler herauskristallisierte.
La Salles Expedition scheiterte an Pech und der Persönlichkeit des Entdeckers
Am Ende jedoch scheiterte La Salles Expedition. Von den vier Schiffen, die Frankreich am 24. Juli 1684 verließen, erreichten das Kriegsschiff Le Joly, die La Belle, und das rund fünfmal größere Versorgungsschiff l’Aimable mit insgesamt rund 300 Menschen im Januar 1685 die Gewässer des Golf von Mexiko. Die kleine Saint Francois war unterwegs von spanischen Freibeutern gekapert worden.
Das Vorhaben stand ohnehin unter einem unglücklichen Stern. Streitereien mit seinen Kapitänen, Intrigen, Verrat, Fehleinschätzungen und offensichtlich auch eine gewisse Überheblichkeit La Salles prägten den Verlauf der Expedition. Möglicherweise aus Trotz setzte der Kapitän der l’Aimable das Versorgungsschiff auf Grund, während sich La Salle gerade an Land mit feindlichen Indianern herumschlagen musste. Der Kapitän des Kriegsschiffes Le Joly, der den Auftrag hatte, die Expedition bis zum Zielort zu begleiten und dort Material für die Kolonie abzuladen, machte sich am 14. März 1685 auf den Rückweg. 120 Kolonisten hatten sich entschlossen mit der Le Joly nach Frankreich zurückzukehren.
Mit nur noch 180 Menschen und der La Belle verfolgte La Salle seine Pläne ungebrochen weiter. Am Garcitas Creek, einem Zufluss zur Matagorda Bucht, ließ er aus den Überresten der l’Aimable die Siedlung Fort St. Louis errichten und begab sich auf die Suche nach der Mississippimündung. Die La Belle, die in der Bucht auf seine Rückkehr warten sollte, strandete währenddessen in einem Sturm.
Nur noch 20 Siedler bleiben in Fort St. Louis zurück, als La Salle – der die Mississippimündung noch immer nicht gefunden hatte - schließlich am 12. Januar 1687 mit 17 Mann in das 1200 Meilen entfernte Kanada aufbrach, um die mit den Schiffen verlorengegangenen Versorgungsgüter zu ersetzen. Bei Streitereien um die Lebensmittelvorräte wurde er unterwegs von seinen Männern ermordet. Fort St. Louis und die verbliebenen Siedler wurden von den Indianern ausgelöscht.
Amerikanischer Pioniergeist bestimmte auch die Suche nach der La Belle
Systematisch und entschlossen – dafür aber umso erfolgreicher - gingen auch die Entdecker der La Belle vor. In den späten 70er Jahren begannen die Wissenschaftler der Historischen Kommission von Texas gezielt nach der La Belle (und übrigens auch nach der l’Aimable) zu suchen. Zunächst bedeutete dies nach Karten und Dokumenten – unter anderem auch in Europa - zu forschen, um die mögliche Position des Wracks einzugrenzen. Die Ausführungen über die Herkunft und die Wege der historischen Dokumente und Karten, die teilweise direkt von den Expeditionsteilnehmern stammen, macht die Geschichte der Fahndung nach den Wracks gleichzeitig zur unterhaltsamen „Schatzsuche“. Und der Leser erfährt viel über die Entwicklung der amerikanischen Unterwasserarchäologie und ihrer technischen Methoden. Interessant aus europäischer Sicht ist aber auch die Art, wie Amerikaner archäologische Projekte entwickeln und finanzieren, was alles möglich ist, wenn es – wie bei der La Belle – um ein „nationales Denkmal“ geht.
Mindestens ebenso spannend sind auch die erlebnisreichen Ausgrabungen selbst, die die Archäologen – nur geschützt durch mit Sand verfüllte doppelte Spundwände, die das trockengelegte Wrack inmitten der Bucht umgaben - etwa eineinhalb Bootsstunden vom Landstützpunkt entfernt, durchführten. Immerhin, der Golf ist bekannt für seine kräftigen Strömungen, Stürme und Hurrikans. Aber die Wissenschaftler mussten nicht nur mit Naturgewalten kämpfen, sondern auch mit dem ständig steigenden Finanzierungsbedarf und technischen wie archäologischen und konservatorischen Fragen. Dabei gelingt es den Autoren, ihre Leser wirklich zu packen, sie sich beinahe selbst als Teil der Expedition vor Ort sehen und an den historisch-wissenschaftlichen Überlegungen teilhaben zu lassen.
Die Ladung der La Belle führt den Leser zurück in die Zeit der Entdeckungen des 17. Jahrhunderts.
Im Kapitel „Cargo for a Colony“ stellen die Autoren die Ladung der La Belle vor, die nicht nur erstaunlich vollständig erhalten ist, sondern sich noch weitgehend original verstaut im Rumpf des Schiffes befand. Gerade einmal etwa 16 Meter lang war das Schiffchen, das geradezu Unmengen von Gütern fassen konnte. Hunderttausende, säuberlich auf Fäden aufgereihte und farblich sortierte Glasperlen, Nadeln, Nägel, Glöckchen, Feuersteine, Keramik, Seile, Axtköpfe, Glasflaschen, Klappmesser oder Ringe als Tausch und Gebrauchsgüter fanden in den Laderäumen des Schiffes ebenso Platz, wie zusätzliche Geschütze, jede Menge Munition, Waffen, Werkzeuge und natürlich persönliche Gegenstände der Siedler. Dass daneben auch noch die ganz normale Schiffsausrüstung mitgenommen werden konnte, ist letztendlich der geradezu genialen Verpackungstechnik in Fässern, Kisten und Kästen zu verdanken, die den Leser immer wieder in Erstaunen versetzt.
Nicht nur der Text ist anschaulich geschrieben, die Illustrationen, die Karten, die Faksimiles von Originaldokumenten, Fotos und Zeichnungen tragen ebenfalls dazu bei, dass die Lektüre des Buches zu einem Erlebnis wird. Zahlreiche Textkästen mit vertiefenden Informationen vermeiden zudem eine informationsbedingte Unterbrechung des Textflusses, machen das Buch aber gleichzeitig zu einer sehr umfassenden Informationsquelle zur Welt La Salles. Die ist übrigens in Form von realen Nachkommen der Kolonisten und der sogenannten La Salle Odyssey – einem Museumsverbund an der texanischen Golfküste – noch sehr lebendig.
James E. Bruseth, Toni S. Turner: From a Watery Grave. The Discovery and Excavation of La Salle’s shipwreck, La Belle. Texas A&M University Press 2005. Broschur, 159 Seiten.
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