Er war 20
Jahre alt und Medizinstudent als er 1880 als Schiffsarzt auf einem Walfänger
anheuerte. Ergebnis dieser sechsmonatigen Reise in’s Polarmeer waren ein
Tagebuch und eine gewisse literarische Prominenz. Denn mehr als mit seiner
Doktorei verdiente er anschließend mit Zeitungsartikeln und Vorträgen über sein
arktisches Abenteuer. Sein „Logbuch der SS Hope“ wurde erst vor wenigen Jahren
entdeckt und liegt nun umfangreich kommentiert und mit weiteren Aufsätzen und
Informationen einschließlich einer Auswahl faksimilierter Originalseiten als „Heute
dreimal ins Polarmeer gefallen. Tagebuch einer arktischen Reise“ vor. Autor des
Tagebuches ist niemand anderes als Arthur Conan Doyle, der weltberühmte
Schöpfer der Geschichten des legendären Sherlock Holmes.
Es ist ein
schön aufgemachtes Buch, das mir in gebundener Form in einem attraktiven
Schuber vorliegt. Und natürlich stellt dieses Werk auch inhaltlich etwas Besonderes
dar. Denn das Tagebuch, vermittelt sicherlich einen authentischeren Eindruck
von der Persönlichkeit des jugendlichen Sherlock Holmes Erfinders, als seine
1924 erschienene Autobiografie „Memories and Adventures“, die diese Epoche
seines Lebens vor allem aus der Erinnerung wiedergibt.
„Würden Sie
gerne nächste Woche zu einer Walfangreise aufbrechen?“
Bereits in
der Einleitung gelingt es den Herausgebern John Lellenberg und Daniel Stashower,
den Leser in den Bann der faszinierenden Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts und
des Themas des Buches zu ziehen. Dazu tragen sicherlich die zahlreichen zeitgenössischen
und autobiografischen Zitate bei, denen sich der Erzählstil der Herausgeber auf
angenehme Weise anpasst. Der kurze Abriss des familiären und persönlichen Hintergrunds des
Protagonisten führt direkt zu jenem Ereignis, das sich nach Aussage Doyles zum
ersten außergewöhnlichen Abenteuer seines Lebens entwickeln sollte. Es war die
von Doyle als „ungeheuerlich“ qualifizierte Frage eines Kommilitonen: „Würden
Sie gerne nächste Woche zu einer Walfangreise aufbrechen? Sie reisen als
Bordarzt mit und verdienen dabei zwei Pfund zehn im Monat plus drei Schilling
pro Tonne Öl.“
Sechs
Monate, die eine Persönlichkeit prägten
Auf nur
wenigen Seiten gelingt es den Herausgebern ebenfalls, die historischen, ökonomischen
und handwerklichen Hintergründe des Walfangs des 19. Jahrhunderts kurzweilig
zusammenzufassen. Die folgenden Einträge Doyles in sein Tagebuch sind mit
zahlreichen wertvollen Hintergrundinformationen der Herausgeber versehen. Die
Lektüre des Tagebuches mit seinen humorigen Anekdoten, dem britischen Understatement,
der Portion Selbstironie aber auch den akribischen Beschreibungen der Waljagd
und –verwertung wird dem historisch und maritim interessierten Leser nie
langweilig. Das hat auch mit dem Stil zu tun, der gelegentlich durchscheinen
lässt, dass Doyle ein Fan von Edgar Allan Poe war. Aber Doyle war zu jener Zeit
– neben seiner romantischen Ader - auch ein Analytiker und Verstandesmensch,
der dem Aberglauben der Seeleute mit gehöriger Distanz gegenüberstand, wie seine
1883 in der Zeitschrift „Temple Bar“ erschienene Geschichte „Der Kapitän der
Polestar“ belegt. Die gibt es im Anhang
des Buches neben weiteren Aufsätzen Doyles und einer Sherlock
Holmes-Geschichte mit Walfängerbezug „Der schwarze Peter“ noch dazu.
Das
Faksimile, ein historisches Dokument mit hoher Aussagekraft
Die
ausgewählten Faksimiles des „Logbuchs der SS Hope“ sind mit handgezeichneten
Illustrationen des Autors versehen. Die dürfen durchaus als anschaulich und hinsichtlich
ihrer Aussage als präzise gelten, auch wenn Doyles Zeichenkünste weit hinter
seinen literarischen Fähigkeiten zurückstehen. Aber es macht schlichtweg Spaß,
die Bilder zu betrachten, vor allem weil in ihnen gelegentlich auch der Schalk
des Autors aufblitzt. An den Illustrationen wird (wie auch im Tagebuch) ebenfalls
deutlich, dass Conan Doyle hinsichtlich des Verhältnisses zum Tier ein Kind
seiner Zeit ist. Robbenschlagen, Eisbären töten, Vögel Schießen, Wale erlegen,
auch für den Autor des Logbuches nicht unbedingt eine moralische Frage, wie
seine peniblen Statistiken der Jagderfolge und der Stolz auf seine eigenen „Strecken“
zeigen.
Der
Wermutstropfen
Der Anhang
beginnt mit einem Aufsatz der Herausgeber zu Doles Werdegang und literarischer
Verarbeitung der sechsmonatigen Reise nach der Rückkehr aus der Arktis. Dabei
wird deutlich, wie sehr diese Erfahrung sein weiteres Leben und literarisches
Schaffen bis hin zu seinen Protagonisten Homes und Watson beeinflusst hat. Und
trotzdem bildet die folgenreiche Episode in Doyles Jugendzeit nur einen Teil der
vielschichtigen Persönlichkeit des Autors, wie seine Lebenschronik zeigt.
Ein wirklich
originelles und fesselndes Buch mit einer Schwäche. Je weiter der Leser mit der
Lektüre vorankommt, desto häufiger überkommt ihn das Gefühl, die eine oder
andere Passage bereits zuvor gelesen zu haben. Und dieses Gefühl trügt ihn leider
nicht. Denn bestimmte Passagen aus dem Logbuch und der Autobiografie ziehen
sich in gleicher oder ein wenig anders formulierter Form durch nahezu alle
Abschnitte des Buches. Spätestens bei Doyles Aufsatz „Leben auf einem
Grönland-Walfänger“, der 1897 im „The Strand Magazine“ publiziert wurde, stellt sich die Frage, ob die ungekürzte Wiedergabe
von Doyles Traktaten nicht ein wenig zu viel des Guten ist.
Jon Lellenberg/Daniel
Stashower (Hrsg.): Arthur Conan Dole; „Heute dreimal ins Polarmeer gefallen“.
Tagebuch einer arktischen Reise. Mareverlag 2015. Gebunden im Schuber, 335
Seiten
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