Mit seinen Fakten und Geschichten zur Dampfschifffahrt auf dem oberen Mississippi beschreibt William J. Pettersen die spannende Geschichte der Eroberung des amerikanischen Westens im 19. Jahrhundert.
Der Geschichtswissenschaftler und Dampfschiff-Fan, dessen Buch „Steamboating on the upper Mississippi“ 1937 erstmals erschienen und in leichter Überarbeitung 1995 von Dover Publication reprinted wurde, hat einen ganz persönlichen Bezug zu seinem Thema. Immerhin arbeitete sein Vater zwischen 1873 und 1911 als Agent der „Diamond Jo Line“, die mit ihren Dampfschiffen den oberen Mississippi bediente. Und bereits als kleiner Junge, geboren in Dubuque am Mississippi, sammelte Pettersen – wie er in seiner Einführung beschreibt – Bilder von Dampfschiffen und lauschte den Geschichten der alten Flussleute. Viele glückliche Stunden, so berichtet Pettersen, hat er am Ufer vor dem Büro seines Vaters verbracht, während er auf die Ankunft der letzten vier Dampfer der Diamant Jo Line wartete, der ‚Dubuque’, der ‚Sidney’, der ‚Quincy’ und der ‚St. Paul’.
Fulton, die Clermont und das Mississippi-Monopol
Dass der Autor ein recht persönliches Verhältnis zu Fluss und Schiffen hat, zeigt sich bereits an den ersten Kapiteln. Wie einen Verwandten stellt er zunächst einmal den Mississippi selbst vor, seine vielen Namen, die Suche nach seiner Quelle, die geheimnisvolle Geschichte ihres Namens, den Verlauf und Charakter des Flusses und natürlich die wechselhafte Geschichte des Landes, dass er durchfließt, an der neben den Indianern die Spanier, Briten, Franzosen und natürlich die Vereinigten Staaten von Amerika beteiligt waren. Obwohl die Dampfschifffahrt auf dem oberen Mississippi 1823 mit der legendären 700-Meilen- Reise der ‚Virginia’ von St.Louis flussaufwärz begann, ist die Grundlage der amerikanischen Dampfschifffahrt natürlich Fultons erfolgreiche Fahrt mit der ‚Clermont’ auf dem Hudson. Anschaulich erzählt, mit zahlreichen zeitgenössischen Zitaten, verfolgt Pettersen zunächst die am Ende vergeblichen Bemühungen Fultons, auf dem Mississippi ein Schifffahrtsmonopol durchzusetzen, beschreibt – immer an konkreten Beispielen von Persönlichkeiten und Schiffen die Vorstöße den Mississippi hinauf, die mit der abenteuerlichen Fahrt der ‚Virginia’ ihren ersten Höhepunkt erreichten.
Die Reise der ‚Virginia’ und ‚Indian Affairs’
Die lebendig beschriebene Fahrt der ‚Virginia’, deren Reise der Leser beinahe hautnah miterlebt, beinhaltet bereits die wesentlichen Elemente der folgenden Geschichte. Der Leser lernt die Orte kennen, die, 1823 noch abgelegene Außenposten der ‚Zivilisation’, in der Folgezeit Bedeutung erlangen werden, er erfährt etwas über die Indianer, die, bereits an Bord der ‚Virginia’ später in großer Zahl das Verkehrsmittel Dampfschiff benutzen werden und nicht zuletzt bringt die ‚Virginia’ die ersten Siedler und Missionare in die Weiten des amerikanischen Westens.
Viel Platz nehmen im Buch „Steamboating on the upper Mississippi“ die ‚Indian Affairs’ ein. Der Transport und die Versorgung von Indianern gehörten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum einträglichen Geschäft der Dampfschifffahrt auf dem oberen Mississippi. So wurden beispielsweise Delegationen von Indianern zum ‚Großen Weißen Vater’ nach Washington gebracht, unter anderem, um ihnen dort das Land abzuhandeln, von dem sie später dann zum Teil ebenfalls per Dampfschiff gleich Stammweise in ihre Reservate deportiert wurden. Indianervölker, die mit dem Land ihre Lebensgrundlage verloren hatten, wurden per Steamer ‚vertragsgemäß’ vom Weißen Mann mit Lebensmitteln und Werkzeug versorgt und natürlich gehörte auch der Transport von Truppen zur Sicherung des neu besiedelten Landes zur lukrativen Aufgabe der Dampfschifffahrtsgesellschaften.
Felle, Blei und Touristen
Die Dampfschifffahrt auf dem Mississippi war unglaublich vielschichtig und so behandelt Petersen auch den Britisch-Amerikanischen Krieg von 1812, den Fellhandel, den amerikanischen Bürgerkrieg und die Epoche des einträglichen Bleigeschäfts als Teil der Dampfschifffahrtsgeschichte. Die ergiebigen Bleiminen am oberen Mississippi, waren übrigens noch zur Zeit der legendären ‚Virginiaexpedition’ fest in indianischer Hand gewesen.
Natürlich widmet sich Petersen auch der Dampfschifffahrt selbst, behandelt die gottgleiche Position der Kapitäne, beschreibt die Reisebedingungen von den ersten Siedlern bis zu den Vergnügungsreisenden der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, für die ganze Flotten prächtiger Salonschiffe gebaut wurden. Spektakuläre Schiffsrennen und die saisonalen Beschränkungen durch die natürlichen Rahmenbedingungen runden das für ein ursprünglich wissenschaftliches Elaborat unglaublich fesselnde Buch ab. Der lockere, erzählerische Stil kann aber kaum die Dichte der im Buch enthaltenen Informationen verbergen, die jedoch nicht nur im Text, sondern auch geschickt in die Erläuterungen zu den zahlreichen historischen Fotografien und Zeichnungen und den umfangreichen Index eingeflochten sind.
‚Steamboating on the upper Mississippi’ – ein historisches Dokument
„Steamboating on the upper Mississippi“ ist aber nicht nur ein Buch über eine faszinierende Epoche amerikanischer Geschichte, sondern auch selbst historisches Dokument, das in einer Zeit entstanden ist, als Bürgerrechte für Schwarze noch kaum zur Diskussion standen und die Vernichtung der indianischen Kultur noch eher als zivilisatorische Heldentat verstanden wurde. Entsprechend werden auch Begriffe verwendet und Sichtweisen an den Tag gelegt, die heute nicht mehr der political correctness entsprechen, dem Buch aber gerade deshalb eine hohe Authentizität verleihen.
William J. Petersen: Steamboating in the upper Mississippi. Dover Publishing 1995. Taschenbuch, 575 Seiten.
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