Mit dem Plymouth-Felsen, dem Ort, an dem die Pilgerväter 1620 ihre neue Heimat Amerika erreichten und nach amerikanischem Geschichtsverständnis die Entstehung der Amerikanischen Nation begründeten, fing für den Autor des Buches „Es war nicht Kolumbus“ alles an.
Ein zufälliger Besuch des Autors an dem unscheinbaren, ja mikrigen Stein, der seiner despektierlichen Aussage zufolge eher an eine versteinerte Kartoffel erinnert, machte Horwitz klar, wie wenig selbst er als Historiker über die amerikanische Entdeckungs- und Gründungsgeschichte wusste. Mehr als zwei Jahreszahlen waren auch ihm kaum bekannt: 1492, Kolumbus entdeckt Amerika und 1620, die Mayflower erreicht mit den ersten Siedlern Amerika.
Horwitz macht sich auf die Suche, studiert, recherchiert, denn zwischen den beiden Ereignissen fehlt ein ganzes Jahrhundert. Und während der Recherchen fällt ihm auf, dass Kolumbus nicht der Entdecker Amerikas war, ja dass Kolumbus Amerika nie betreten hatte. Dass die Wikinger als erste den amerikanischen Kontinent betreten und sogar Siedlungsversuche unternommen hatten und dass die Pilgerväter auch nach Kolumbus beileibe nicht die ersten Siedler auf heutigem US-Amerikanischem Boden waren. Nach Kolumbus waren die Spanier gekommen, die Portugiesen und sogar die Franzosen und Holländer. Ja, und tatsächlich gab es ja auch noch die Ureinwohner des Kontinents. Als die Pilgerväter mit der Mayflower also 1620 den Mythos von der Entstehung der heutigen USA begründeten, hatten andere Europäer bereits, so stellt Horwitz erstaunt fest, die Hälfte der achtundvierzig Staaten der heutigen kontinentalen USA erreicht.
Konquistadoren und die Gebeine des Kolumbus
Viele der historischen Fakten, die Horwitz in seinem Buch darstellt, sind dem gebildeten Durchschnittseuropäer durchaus bekannt, andere wiederum nicht. Aber es ist auch nicht die Darstellung der amerikanischen Geschichte allein, die das Buch „es war nicht Kolumbus“ so ungemein lesenswert macht. Horwitz begibt sich nämlich ganz real auf die Reise in die Vergangenheit, spürt die „letzten Wikinger“ auf Neufundland auf, verzweifelt auf der Suche nach den Gebeinen des Kolumbus in Santo Domingo an der Mentalität der Insulaner, folgt den spanischen Eroberern auf ihren Beutezügen und verglüht nicht zuletzt beinahe in einer indianischen Schwitzhütte.
Horwitz nimmt auf seiner Reise tatsächlich alles mit, versucht den Dingen auf die Spur zu kommen, Fakten zu sammeln, Mythen zu entschlüsseln, historische Märchen zu entzaubern. Immer wieder muss er feststellen, dass die Menschen in den verschiedenen Teilen des Landes so ihre eigenen geschichtlichen Mythen pflegen, Traditionen auf ungesicherten oder falschen historischen Fakten aufgebaut haben und unbeirrbar an Vorstellungen festhalten, die längst widerlegt sind. Amerikaner eben, die Horwitz immer wieder belächelt. Aber Horwitz trifft auf seiner Reise auch unzählige interessante Menschen, Ernstzunehmende, Freaks, ernstzunehmende Freaks. Er besucht Historienjahrmärkte á la Amerika, legt hier selbst spanische Rüstungen an, in denen er beinahe einen Kreislaufkollaps bekommt und trifft natürlich auch John Smith und Pocahontas.
Kolumbus und die Plymouth-Kartoffel
Am Ende seiner Reise und damit auch des Buches, kehrt Horwitz wieder zur mikrigen Plymouth-Kartoffel zurück, um viele Erkenntnisse über die amerikanische Geschichte, vor allem aber über die Seele seiner Landsleute, reicher.
Das Buch „Es war nicht Kolumbus“ ist an keiner Stelle langweilig und macht Spaß. Denn auch, wenn Horwitz auf seiner Reise des Öfteren nachvollziehbar an seine körperlichen und nervlichen Grenzen stößt, zumindest beim Niederschreiben dieser Geschichten hat er seinen Humor nicht verloren. Plastisch, drastisch, witzig, informativ, nachdenklich und offen, das sind die prägenden Attribute dieses Buches, das man eben nicht nur wegen der vielfältigen Informationen der amerikanischen Entdeckungs- und Gründungsgeschichte liest.
Tony Horwitz: Es war nicht Kolumbus, Die wahren Entdecker der Neuen Welt. Marebuchverlag 2008. Gebunden mit Schutzumschlag, 560 Seiten.
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