Samstag, 4. April 2015

Sovereigns of the sea

ein englischsprachiges Buch über die Herausforderung, das perfekte Renaissance-Schlachtschiff zu bauen

036Die Holländer nannten das mächtige Schiff mit den 102 schweren Bronzekanonen den goldenen Teufel. Sovereign of the Seas – also Herrscher der Meere - war der Taufname jenes 1637 vom Stapel gelaufenen Schiffes, mit dem England die Maßstäbe der Segelschlachtschiffe für die folgenden Jahrhunderte setzen sollte. Sovereigns of the Sea ist aber weniger ein Buch über den Schiff gewordenen furchteinflößenden Höhepunkt einer zwei Jahrhunderte währenden Entwicklung, vielmehr nimmt es den Leser mit auf eine spannende Reise durch die Geschichte.

Als die Feuerwaffen Einzug in die Armeen der Herrscher des ausgehenden Mittelalters hielten, da bedeutete das nachhaltige Veränderungen in der militärischen Organisation, der Taktik und den Techniken der Kriegsführung bis hin zur Einführung stehender Heere. Ebenso wie zu Lande, war diese militärische Revolution auch zur See ein Prozess, der nicht nur Jahrhunderte währte sondern auch von Versuch und Irrtum geprägt war. Monsterschiffe wie die englische Henry Grace à Dieu, die schottische Michael oder die portugiesische Santa Catarina do Monte Sinai, aber auch die legendäre Mary Rose Heinrich VIII oder die schwedische Vasa dokumentieren die Bemühungen der Renaissance–Herrscher sich mit Prestigebauten gegenseitig zu beeindrucken und gleichzeitig militärisch auf dem neuesten Stand zu sein.

Schifffahrts-, Technik- und Kulturgeschichte in einem Buch

Der ehemalige Marineoffizier, Historiker und Direktor des Mel Fisher Marinemuseums in Florida, Angus Konstam, liefert dem Leser tiefe Einblicke in die schiffsbau- und waffentechnischen Herausforderungen, die die Einführung und der Einsatz der Artillerie auf Schiffen bedeuteten. Da geht es nicht nur um Fragen der Feuerkraft oder der Stabilität der Schiffskörper, sondern auch um die Tatsache, dass die Militärs jener Zeit überhaupt erst die Einsatzmöglichkeiten von schwerer Schiffsartillerie begreifen mussten. Dabei sind nicht nur die ausführlichen Beschreibungen der schiffbautechnischen Entwicklungen oder der Herstellung von geschmiedeten und gegossenen Vorder- und Hinterladern aufschlussreich. Vor allem auch die politisch-historisch-ökonomischen Rahmenbedingungen, die zu auf den ersten Blick erstaunlichen Unterschieden in der Marineentwicklung der damaligen Seemächte führten, eröffnen dem Leser zum Teil neue Perspektiven.

Schiffe als Symbole von Prestige und Macht

Konstam beschreibt anschaulich, an konkreten Beispielen und Ereignissen die Irrungen und Wirrungen, die die Entwicklung vom bewaffneten Handelsschiff zum kanonenstrotzenden Schlachtensegler prägten. So erfährt der Leser von den maritimen Großmachtbestrebungen des schottischen Königs James IV., der 1512 mit seinem Monsterschiff Great Michael – „the greatest sheip that ewer saillit in Ingland or France“ – mächtig Eindruck beim Botschafter des potenziellen französischen Alliierten gegen England schinden konnte. Mit 30.000 schottischen Pfund verschlang allein der Bau des 1512 in Dienst gestellten Prestigemonsters den gesamten Staatshaushalt eines Jahres, die Kosten für den Bau der speziellen Werftanlagen und die 27 großen bronzenen Vorderladergeschütze sowie der unzähligen leichten Feuerwaffen nicht mit einberechnet. Die Reaktion Heinrich VIII. folgte schnell und konsequent. 1512 ließ er den Kiel für die Henri Grace á Dieu legen, und nur zwei Jahre später – einem Drittel der Bauzeit der Michael – war ein Kriegsschiff entstanden, noch mächtiger und eindrucksvoller als der schottische Herausforderer. Beide Schiffe kamen nie zum Kriegseinsatz, Heinrichs monströses Flaggschiff konnte wegen seines Tiefgangs nicht einmal die einschlägigen Kontinentalhäfen anlaufen.

Schiffskonzepte im Spannungsfeld von gegenseitiger kultureller Beeinflussung und regionalen Besonderheiten

Angus Konstam gelingt es mit seinem Buch die ganze historische Komplexität der Entwicklung vom Enterkampf bis zur Linienschlacht der segelnden Geschützplattformen unterhaltsam und solide strukturiert darzustellen, zu veranschaulichen. Souverän sortiert er die unterschiedlichen aber ineinandergreifenden politischen technologischen, militärischen und wirtschaftlichen Entwicklungslinien bei den Protagonisten des Kampfes um die Seeherrschaft, um sie, nachvollziehbar gegliedert, wieder zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Das beginnt beim mittelmeerischen Einfluss auf den portugiesisch- spanischen Schiffbau und wiederum dessen Einfluss auf die Entwicklung der elisabethanischen Galeonen. Die hat – mit Anleihen an die holländische Schiffbaukunst und der Entwicklung spezieller Schiffartillerie – im Kampf gegen die spanische Armada 1588 die Überlegenheit der artilleriegestützten Seekriegstaktik unter Beweis gestellt. Und während Mächte wie Spanien oder Holland aus nachvollziehbaren Gründen bei ihren Kriegsschiffen auf einen Kompromiss zwischen Warentransport und Geschützplattform setzten, gingen die Engländer – ebenfalls aus gewissen Sachzwängen heraus – den konsequenten Weg zum optimalen Schlachtschiff. Der endete – wie Konstam im letzten Kapitel darstellt – mit der Sovereign of the Seas, dem Goldenen Teufel, der zugleich den Beginn einer neuen Seekriegsära einläutete.

Sovereigns of the Sea: spannend, informativ, lebendig

Wie bereits am Beispiel der schottischen Seemachtbestrebungen deutlich wird, lässt Konstam in seinem Buch kaum etwas seefahrtgeschichtliches des Betrachtungszeitraumes aus. So schaut er nicht nur auf die üblichen Verdächtigen wie England, Frankreich, Holland oder Spanien. Die Hanse, Dänemark, Schweden, der nordische Konflikt, der dreißigjährige Krieg, die diversen Teilkonflikte und selbst das maritim nicht sonderlich bedeutende Heilige Römische Reich Deutscher Nation werden in den Ausführungen berücksichtigt. Dabei handelt es sich bei Sovereigns of the Sea naturgemäß um ein Buch, in dem Details zu Schiffbau- und Waffentechnik im Mittelpunkt stehen. Trotzdem sind es die Menschen in Person der Herrscher oder der Schiffsbauer wie die der Pett-Dynastie, ihre Funktion, Leidenschaften und Schwächen, ihre Auseinandersetzungen um Macht und Vorherrschaft, die in Konstams Ausführungen der Entwicklung als treibende Kräfte zugrunde liegen. Das Buch über die Herausforderung, das perfekte Renaissance-Schlachtschiff zu bauen, ist rundum gelungen und nicht nur wegen seiner klaren aber keineswegs langweiligen Sprache auch für interessierte Laien gut verständlich. Es ist bei aller fachlichen Informationsdichte und Kompetenz des Autors eine ent- und spannende Lektüre.

Angus Konstam: Sovereigns of The Sea. The quest to build the perfect renaissance battleship. Wiley 2008. Gebunden mit Schutzumschlag 338 Seiten.

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