“The Great Expedition” schildert Hintergründe und Ablauf des legendären Raubzugs Francis Drakes in den zentralen Gewässern des spanischen Überseeimperiums.
Es ist schon erstaunlich, wie einfach es aus rein militärischer Sicht war, das mächtige spanische Weltreich mit den nahezu unerschöpflichen Gold- und Silberquellen des amerikanischen Doppelkontinentes in seinen Grundfesten zu erschüttern. Mit gerade einmal rund 30 Schiffen, darunter zahlreiche „Nussschalen“ von 50 bis 200 Tonnen und etwa 2000 Mann hatte Franzis Drake die wichtigsten mittelamerikanischen und karibischen Städte Spaniens erobert und geplündert.
Es waren aber weniger die Kämpfe gegen die schlecht ausgerüsteten Spanier mit ihren heruntergekommenen Verteidigungsanlagen, die den Raubzug zu einer besonderen Leistung des englischen Abenteurers Drake machte. Insubordination von Offizieren, das nahezu allgegenwärtige Fieber und die Kombination zwischen persönlichem Rachefeldzug, politischem Kalkül und wirtschaftlicher Zielsetzung stellten die eigentliche Herausforderung der Expedition in die Schatzkammer Spaniens dar. Immerhin, so vermittelt der Militärhistoriker Angus Konstam in „The Great Expedition“ sehr anschaulich, war der Raid nicht einfach der Raubzug eines Piraten, sondern ein politischer Faktor in den europäischen Religions- und Wirtschaftskriegen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
Piraterie in der Karibik als Präventivschlag
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem katholischen Spanien und dem protestantischen England, die eng mit den Personen König Philip II. und Königin Elisabet I. verbunden waren, hatten 1584 ihren Höhepunkt erreicht. Ein handfester Krieg mit dem militärisch und wirtschaftlich weit überlegenen Spanien einschließlich einer Invasion drohte. In dieser Situation hatte Drake, in jener Zeit bereits Vertrauter der Queen, eine Art Präventivschlag in die Diskussion gebracht, einen Kaperkrieg, der mitten in die Quelle der spanischen Macht, das Gold Amerikas, zielen sollte. Ziel war es, den spanischen König so zu beindrucken und den Gold- und Silberfluss ins Mutterland so zu stören, dass Philip seine Kriegs- und Invasionspläne aufgeben müsse. Im Gegenzug würde das amerikanische Gold- und Silber natürlich die Kriegskasse Englands erheblich füttern.
Der Krieg der Merchant Adventurer
Nun war die englische Königin in jener Zeit überhaupt nicht in der Lage, dem amerikaerfahrenen Abenteurer Drake eine Kriegsflotte zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen. Und auch politisch konnte sie es sich – wollte sie mit dieser Aktion einen Krieg vermeiden - nicht leisten, die Expedition offiziell zu unterstützen. Aber Unternehmungen dieser Art stellten ohnehin keine rein militärischen, sondern immer auch wirtschaftliche Aktivitäten. Sehr anschaulich und detailliert beschreibt Angus Konstam, wie der Raubzug als Beteiligungsgesellschaft organisiert worden war. Zahlreiche Geldgeber aus Adel, Politik und Kaufmannschaft investierten Anteile in das Unternehmen und erwarteten dafür neben der Rückzahlung ihres Einsatzes einen entsprechenden Profit aus dem Erlös der gekaperten Schiffe, dem geraubten Gold- und Silber, den erpressten Lösegeldern und den verkauften Sklaven. Ein ganz normales und profitables, wenn auch riskantes Geschäft, an dem informell auch die Queen beteiligt war.
Sir Francis Drake zwischen Mythos und Wirklichkeit
Auch wer sich nicht für Militärgeschichte im engeren Sinne interessiert, kommt mit diesem Osprey-Buch aus der Serie „Raid“ wieder einmal auf seine Kosten. Natürlich liegt es nahe, dass Konstam den Ablauf der einzelnen Eroberungen wie Vigo, Santiago, Santo Domingo, Cartagena und St. Augustine minutiös beschreibt. Dabei visualisiert die Ausstattung mit historischen Bildern und Dioramen gleichen „Schlachtfeldillustrationen“ (Peter Dennis, Alan Gilliand, Brian Delf, Mariusz Kozik) die einzelnen Kampagnen hervorragend.
Aber es gibt eben auch die Hintergrundkapitel, beispielsweise zu Drakes Biografie, die auch seine geradezu verbissene Gegnerschaft zu den Spaniern erklärt. Da findet sich ebenfalls die zwar kompakte aber sehr informative Darstellung der historisch-politischen Hintergründe und nicht zuletzt die Untersuchung der Frage des zweifelhaften wirtschaftlichen Erfolgs der Expedition. Denn bis heute sind weder Umfang noch Verbleib der vermuteten Beute gänzlich geklärt. Politisch, so resümiert Konstam, darf die Kampagne durchaus als gelungen angesehen werden, auch wenn tatsächlich das Gegenteil dessen herausgekommen ist, was ursprünglich beabsichtigt worden war.
Angus Konstam: The Great Expedition. Sir Francis Drake on the Spanish Main 1585-86. Bd. 17 der Raid-Serie, Osprey Publishing 2011. Broschur, 80 Seiten.
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