Seit
Jahrtausenden haben die Bewohner der Süd- und Ostküste der Arabischen Halbinsel
eine enge Beziehung zur See. Bereits in der Bronzezeit organisierten die
Seeleute aus dem Gebiet des heutigen Oman einen regen Warenverkehr zwischen den
sich entwickelnden Kulturen in Mesopotamien und
dem Industal. Mit dem Einzug des Islam in die arabische Welt bis zur
Ankunft der Portugiesen nahmen Omans Seefahrer eine wichtige Rolle bei der Entwicklung
eines islamischen maritimen Netzwerkes ein, das sich bis nach China erstreckte.
In der Neuzeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich etablierte sich das
Sultanat Oman als veritable Seemacht im indischen Ozean. Der in der Reihe Studies on Ibadism and Oman erschienene
Band 9 liefert nach Aussage der Herausgeber erstmals eine komplexe und alle
Aspekte umfassende Darstellung der maritimen Geschichte Omans.
Im ersten
Abschnitt befasst sich Edward Alpers, Historiker und Forschungsprofessor an der
Universität Kalifornien mit dem Verhältnis zwischen den Fachgebieten
Weltgeschichte (oder transnationale Geschichtsforschung) und maritime
Geschichte. Ein in verschiedener Hinsicht interessanter Beitrag, der nicht nur
einen klassischen Disziplinenstreit im Wissenschaftsbetrieb beleuchtet, sondern
vor allem das Erkenntnispotenzial und den für Historiker ungewöhnlichen
Blickwinkel der sich erst noch entwickelnden maritime history herausarbeitet.
Die maritime Welt des Oman der Bronzezeit
Der Zweite
Abschnitt behandelt die maritime Welt des vorislamischen Oman, beginnend mit
dem Seehandel in der Bronzezeit. Archäologische Belege zeigen, dass bereits
seit dem 7. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung die Küstenbewohner der
arabischen Halbinsel die ersten maritimen Aktivitäten entwickelt haben dürften.
Spätestens seit dem 3. vorchristlichen Jahrtausend wirkten Seefahrer von Oman
als Bindeglieder eines Seehandelsnetzwerkes, das die großen Zivilisationen
Mesopotamiens, Dilmun (Bahrain und östliches Saudi-Arabien) und der Induskultur
(Harappa) miteinander verband. Neben den geographischen, archäologischen und
schiffbautechnischen Aspekten, erläutert der Spezialist für arabische Schiffe
des westindischen Ozeans und Arabischen Golfs, Tom Vosmer auch die Konzepte früher
arabischer Navigation. Die Darstellung von Struktur und Charakter von Häfen und
Handelsrouten runden die Ausführungen
dieses Kapitels ab. Allerdings überrascht der Autor am Ende mit einem
weiteren Aspekt. Die Domestizierung des Kamels, etwa Anfang des ersten
vorchristlichen Jahrtausends, so der Autor, hatte geradezu revolutionäre Folgen
für den arabischen Seehandel. Immerhin konnten die „Wüstenschiffe“ nicht nur
doppelt so viel Last tragen, wie ein kräftiges Maultier, sie eröffneten die
Wüsten der arabische Halbinsel für Handelskarawanen, die große Mengen an Gütern
von und zu den Handelszentren an der Küste transportieren konnten. Weitere wirtschaftliche und kulturelle
Horizonte eröffneten sich und führten zu
neuen technologischen, politischen und sozialen Entwicklungen.
Omans maritime Netzwerke, die Römer und
andere Reiche
Die
Archäologin Anjana Reddy führt den Leser durch das erste vorchristliche
Jahrhundert bis zum Beginn der islamischen Zeit Omans um etwa 630 unserer
Zeitrechnung. Allgemein wird davon ausgegangen, dass das Vordringen der Römer
in die Region des Roten Meeres , der Wirtschaft und dem Handel Omans als
Eingangstor zum lukrativen Indienhandel neue Impulse gegeben habe. Anjana Reddy
begründet in ihrem Beitrag jedoch, dass der Überlandhandel und die Bildung maritimer
Netzwerke in Oman bereits vor dem Einfluss der Römer und Jahrhunderte nach dem
Zusammenbruch des römischen Reiches stattgefunden hat. Auch der Einfluss der
sogenannten Sassanidischen Periode auf die Bevölkerung im Oman und ihre
maritimen Aktivitäten müsse, so die Autorin vor dem Hintergrund archäologischer
Belege zumindest hinterfragt werden. Seit der späten Antike sei die Omanische
Gesellschaft ein Schmelztiegel mit Menschen aus aller Welt, von Ost Afrika, dem
Roten Meer, Iran und dem indischen Subkontinent gewesen, habe viele fremde
Gruppen und ihre soziokulturellen und wirtschaftlichen Besonderheiten
assimiliert und integriert und auf diese Weise ihre Identität über die
Jahrhunderte erhalten. Tatsächlich nahm das Gebiet und die Handelszentren des heutigen
Oman ungeachtet der jeweiligen Machtverhältnisse in der Großregion eine
zentrale Rolle im maritimen Handelsnetz des indischen Ozeans ein. Zweifellos waren die arabischen
Seefahrer durch ihre über Jahrtausende tradierten maritimen Erfahrungen und Fähigkeiten
im interkontinentalen Handel unersetzlich.
Das islamische Oman vor der Ankunft der Europäer
Mit dem
Eintritt Omans in die islamischen Welt um 630 erweiterte sich das maritime
Netzwerk noch einmal gewaltig. Eric Staples, Mitherausgeber und Spezialist für
islamische Geschichte, Seefahrt und Schiffbau, führt den Leser durch die
Jahrhunderte islamischer Seefahrt bis zur Ankunft der Portugiesen im indischen
Ozean. Geprägt war diese Zeit von komplexen religiösen, politischen und
kommerziellen Machtkämpfen, dem Aufstieg von Hormuz und der Entwicklung
weiterer arabischer Handelszentren, gewaltigen Migrationsbewegungen, der
mongolischen Invasion, den Reichen der Umayaden, Abassiden und Osmanen. Eine
Reihe von Mächten der Küste, des Hinterlands und der Region versuchten, sei es
durch Piraterie, maritime Kriegszüge oder wirtschaftlichen Druck, einen Anteil
des durch Omans maritimen Handel generierten Reichtums zu ergattern. Immerhin
gelangten auf omanischen Schiffen Güter wie Kupfer, Weihrauch, Datteln,
getrockneter Fisch und Pferde bis nach China und die Monsun getriebenen Schiffe
kehrten mit Gewürzen, Edelsteinen, Perlen und Gold, Getreide, Metallen und Holz
aus dem Indo-Westpazifischen Raum zurück.
Der persische Golf und die Portugiesen
Die
portugiesische Vormachtstellung im Arabischen Golf beleuchtet der Ökonom und
Soziologe Willem Floor. Den festungsgleichen See- und Kampferprobten
portugiesischen Schiffen waren die zahlenmäßig überlegenen Flotten der
islamischen Kontrahenten nicht gewachsen. Zu Lande allerdings war die
militärische Macht der Portugiesen außerordentlich beschränkt. So blieben die
politischen, gesellschaftlichen und Verwaltungsstrukturen der Region im
Wesentlichen unangetastet, während die Portugiesen durch die Kontrolle der
Straße von Hormuz Tribute, Zölle und Abgaben von den Anrainern einforderten. Piraterie,
Rebellionen, Machtkämpfe regionaler Herrscher und der anliegenden Großmächte um
den Zugang zum lukrativen Handel und nicht zuletzt der blühende Schmuggel
beanspruchten die maritimen Kräfte der Portugiesen in erheblichem Maße. Und als
schließlich auch die Holländer und die Engländer begannen, mitzumischen, da
schwand die Macht der Portugiesen. 1622 im Rahmen der Anglo-Iranischen Eroberung
von Hormuz verloren sie nicht nur ihren Gouverneurssitz und ihre
Haupteinnahmequelle sondern auch die Kontrolle über den Golf. Fünfundzwanzig
Jahre später mussten sie nach der Belagerung ihres Stützpunktes Muskat durch
den osmanischen Imam Sultan b. Sayf auch diese Position räumen und zwei Jahre
später verschwand auch die portugiesische Präsenz in Basra.
Oman als maritimer Machtfaktor im
Westindischen Ozean
Nach der
Vertreibung der Portugiesen aus Muskat entwickelte sich Oman zu einer bedeutenden
Seemacht im indischen Ozean und dehnte seinen Einflussbereich auf Ostafrika
aus. Dynastische Machtkämpfe, Bürgerkrieg und persische eroberungsversuche
führten schließlich zur Gründung der bis heute regierenden Said-Dynastie. Bis
zur Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es Oman, seine Besitzungen von Bahrain über
Teile der persischen Golfküste und der arabischen Halbinsel vorgelagerte Inseln
bis nach Zanzibar und die ostafrikanischen Häfen von Cape Delago bis Cape
Guardafui auszudehnen. Beatrice Nicolini, Politikwissenschaftlerin und
Afrikanistin beschreibt in ihrem Aufsatz die Geschichte des Sultanats bis zum
Zeitpunkt seiner größten Macht, der gleichzeitig den Beginn seines
wirtschaftlichen Untergangs einläutete. Der war nicht nur dynastieinternen
Machtkämpfen geschuldet, sondern auch Ergebnis der grundlegend veränderten internationalen
wirtschaftlichen, politischen und technologischen Rahmenbedingungen: Die Entwicklung
der monsununabhängigen Dampfschifffahrt und das massive Engagement der
europäischen Mächte und Amerikas in der Region. Der Historiker und
Omanspezialist Calvin H. Allen schließt mit seinem Aufsatz den historischen
Teil und führt den Leser bis in die heutige Zeit, in der der Oman – nicht zuletzt
aufgrund seiner seit den 1970er Jahren sprudelnden Öleinnahmen - in der Region des Westindischen Ozeans wieder
eine bedeutende maritime Rolle.
Schiffsarchäologie, Schiffstypen und
arabische Navigation
Tom Vossmer
und Eric Staples geben mit ihren Essays zum fünften Abschnitt The Maritime Sciences. Naval Construction
and Navigation tiefe Einblicke in die Entwicklung des arabischen Bootsbaus,
den Technologien und der Typologie der arabischen
Wasserfahrzeuge und in die Besonderheiten der Navigation im indischen Ozean
unter Bezug auf islamische Quellen.
Ein außerordentlich
interessantes Buch, das eine Vielfalt
von Facetten der maritimen, religiösen und politischen Geschichte einer
dynamischen und aus europäischer Sicht kaum bekannten und verstandenen Region
aufgreift. Ein gutes Beispiel für das interdisziplinäre Potenzial modern
verstandener maritime history. Nicht
unerwähnt sollte allerdings insbesondere bei der Lektüre der Abschnitte zur neueren Geschichte Omans bleiben, dass einer
der Herausgeber des Buches aus der Reihe „Studies on Ibadism and Oman“ Sheikh
Abdullah Bin Mohammed Al Salmi ist, seines Zeichens Minister für religiöse
Stiftungen und Religionsangelegenheiten des Sultanats Oman. Um keine
Missverständnisse aufkommen zu lassen Das Buch zeigt keinerlei Tendenzen
religiöser Einflussnahme. Die Darstellung des modernen Oman und der Leistungen
seines Monarchen stellt sich politisch jedoch ein wenig stromlinienförmig dar.
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