ein Ausstellungskatalog zu Rekonstruktionen ägyptischer, minoischer und griechischer Schiffe
Die Rekonstruktionen von fünf antiken Schiffen, darunter allein drei ägyptischen, stehen im Mittelpunkt des Ausstellungskataloges „Vom Nil aus um die Alte Welt“. Der Modellbauer und Keramikspezialist Michael Bormann konnte für seine Modelle neben Informationen aus archäologischem Material – wie beispielsweise die „Schiffsbestattungen“ an der Cheopspyramide oder Modelle als Grabbeigaben – auf zahlreiche zeitgenössische Abbildungen zurückgreifen.Über Aussehen und Konstruktion der ägyptischen Schiffe ist wohl mehr bekannt, als über die Seefahrzeuge der meisten anderen Kulturen, mit denen die bronzezeitlichen Ägypter konfrontiert waren. Kein Wunder, dass gut die Hälfte des Buches von ägyptischer Seefahrt und den detailliert beschriebenen Rekonstruktionen Michael Bormanns handelt. Auf der Basis langjähriger Forschungen hat Bormann ein Schiff aus der Flotte des Königs Sahu-Re (ca. 2490-2475 v. Chr.), ein Lastschiff (ca. 1340 v. Chr.) aus dem Neuen Reich und eine sogenannte Neschmet-Barke - ein Kultboot, dessen Verwendung seit dem alten Reich belegt ist - rekonstruiert. Und während die Archäologen für die Schiffe der Minoer oder die Galeeren der Griechen bislang keine originalen Vorbilder entdecken konnten, haben die Pharaonen der Nachwelt gleich mindestens zwei Schiffe unterschiedlichen Typs als Anschauungsmaterial hinterlassen.
Schiffe für die Ewigkeit – eine Seefahrernation ohne direkten Zugang zum Meer
In der Nekropole von Giza, zu der auch die Cheopspyramide mit dem Totentempel des Cheops gehört, fanden sich eine Reihe von Bootsdepots, zwei davon mit kompletten Schiffen, die eher zufällig 1954 durch den Ägyptischen Antikendienst entdeckt wurden. Eines davon ist inzwischen restauriert und seit 1982 in einem Museum oberhalb der Fundstelle der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Das andere Depot wird seit 1987 erkundet und seit 2012 bereiten die Archäologen die Bergung, Konservierung und Rekonstruktion des fragilen Materials der zweiten Kultbarke vor. Mit dem Thema „Nil als Lebensader und Transportweg“ zeigen die Autoren zunächst die existenzielle Bedeutung der Schifffahrt für die Ägypter auf. Naturgemäß spielte die auch für die Herrschaft der Pharaonen eine zentrale Rolle. Nicht nur für die Beschaffung von Luxus-, Kult- oder Wirtschafsgütern für die Paläste der Gottkönige, waren die Schiffe – wie die Flotte des Königs Sahu-Re oder die Expeditionen nach Punt unter der Königin Hatscheput zeigen – von Bedeutung. Auch bei Prozessionen, sakralen Handlungen und Kulten waren die Barken unentbehrlich. Immerhin gehörte Pharaonens Fahrt auf der Götterbarke durch die Unterwelt und über den Himmel zum Kern der Legitimation des Gottkönigs, der mit dieser Reise die Ordnung der ägyptischen Welt und des Universums garantiert.
Die Minoer, eine maritime Großmacht der Bronzezeit
Auch wenn die Ägypter mit ihren zusammengenähten und gedübelten Schiffen - deren technische Details in erstaunlicher Präzision auch den Reliefs und Wandmalereien der ägyptischen Paläste und Nekropolen zu entnehmen sind – über das Rote Meer nach Afrika segelten, im Mittelmeer spielten sie als Seemacht keine Rolle. Hier waren es zunächst die Minoer, die von Kreta aus die Ägäis beherrschten und ihre Handelsbeziehungen bereits seit der Mitte des 3. Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung bis nach Ägypten ausdehnten. Vollständige Schiffe haben uns die Minoer nicht hinterlassen, die Unterwasserarchäologie hat jedoch Wracks von Frachtschiffen aus dem 3. bis zweiten vorchristlichen Jahrtausend gefunden, aus denen sich einzelne Konstruktionsmerkmale, vor allem aber über die Ladungen bronzezeitliche Handelsrouten im Mittelmeer rekonstruieren lassen. Die Rekonstruktion des minoischen Schiffes von M. Bormann stützt sich vor allem auf die Abbildungen des berühmten Schiffsfrieses von Akrotiri. Die antike Hafenstadt der Minoer war beim Ausbruch des Vulkans von Thera in der zweiten Hälfte des 17. vorchristlichen Jahrhunderts verschüttet und 1967 wiederentdeckt worden. Bei den Grabungen 1972 kam auch das Wandfries zu Tage, das unter anderem zahlreiche Schiffe unterschiedlicher Art zeigt. Aufgrund der dürftigen Quellenlage beinhaltet die Rekonstruktion des Schiffes natürlich eine Menge an Spekulation, die der Leser jedoch bis ins Detail begründet nachvollziehen kann.
Die Pentekontere, das griechische Allzweckschiff für Expeditionen und Raubzüge
Ist von griechischen Kriegsschiffen die Rede, fallen einem sofort die Trieren ein, jene mit Rammspornen bewehrte Ruderschiffe, mit denen die Flotte der Perser bei Salamis 480 v. Chr. vernichtend geschlagen wurde. Bornemann hat sich hingegen für die Rekonstruktion, die die griechische Seefahrt repräsentieren soll, für eine Pentekontere, in diesem Fall einen zweireihigen Fünfzigruderer entschieden. Die Pentekontere war offensichtlich ein robustes Allzweckschiff, das für Expeditionen und Raubzüge an den Küsten der Ägäis und des Schwarzen Meeres hervorragend geeignet war. Auch das Schiff des legendären Jason, der im Schwarzen Meer auf der Suche nach dem Goldenen Vlies unterwegs war, soll nach Erkenntnissen Bornemanns eine Pentekontere gewesen sein. Auch hier liefert die Quellenlage - überwiegend Abbildungen der schwarz- und rotfigurigen Keramik – eine Menge Raum für Interpretationen und Überlegungen zu Größe und Konstruktion. Das Modell des zweireihigen Fünfzigruderers ist insofern sicherlich als plausible und gut begründete Annäherung an diesen Schiffstyp zu verstehen. Schade, dass hier im Gegensatz zu den anderen Rekonstruktionen, keine Ausführungen zu den Plankenverbindungen gemacht wurden, ein weiterer Hinweis darauf, wie dünn die Quellenlage speziell im Bereich der griechischen Ruderkriegsschiffe ist. Mit Ausnahme von bronzenen Rammspornen fanden sich hier bislang noch keine relevanten archäologischen Artefakte.
Antike Schifffahrt und eine lange Forschungstradition
Mit dem Kapitel „Die Erforschung antiker Schiffe vor und nach Winckelmann“ endet das Buch zur Ausstellung „Vom Nil aus um die Alte Welt“ die im Stendaler Winkelmannmuseum vom 27. April bis 22. September 2013 präsentiert wird. Hier wird noch einmal deutlich, auf welche Forschungen und Quellen Bornemann bei seinen Rekonstruktionen zurückgreifen konnte. Dabei ist durchaus bemerkenswert, dass sich ein gewisser Lazarus Bayfius bereits im 1536 in Lyon erschienenen Buch „De re navali“ intensiv mit den antiken Schiffen und den Schiffbau im Altertum auseinandergesetzt hatte. Auch Johann Joachim Winckelmann hatte seinen nicht unwesentlichen Beitrag zum Thema geleistet und nicht zuletzt rückte die durch den Ägyptenfeldzug Napoleons ausgelöste Ägyptomanie des 19. Jahrhunderts die Wasserfahrzeuge der Pharaonen in den Mittelpunkt schifffahrthistorischen Interesses.
Antike Seefahrt mal ohne die obligatorischen Römer
Insgesamt liefert das Buch einen interessanten Überblick über die ägyptische, minoische und griechische Schifffahrt. Über die Beschreibungen der Rekonstruktionen, die leider gelegentlich stark vom Fachjargon geprägt sind, erhält der Leser einen tieferen Einblick besonders in die ägyptische Schiffbautechnik. Spannend ebenfalls die Überlegungen, die zu den spezifischen Rekonstruktionsentscheidungen geführt haben. Etwa wenn es um die Größen und Proportionen der Schiffe geht, die unter anderem aus der auf den jeweiligen Abbildungen gezeigten Anzahl, Position, und Anordnung der Ruderer und deren Rudertechnik ermittelt wurden. Die Autoren führen den Leser in Sphären der Seefahrts- und Schiffbaugeschichte, die dem interessierten Laien sicherlich noch verhältnismäßig fremd sind. Allein schon deshalb lohnt sich die Lektüre des anschaulich illustrierten Buches.
Max Kunze (Hrsg.): Vom Nil aus um die Alte Welt. Rekonstruktionen ägyptischer, minoischer und griechischer Schiffe. Verlag Franz Philipp Rutzen 2013, Broschur,96 Seiten.
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