Dass unsere europäische Kartoffel ein historischer Import aus Amerika ist, gehört zum Allgemeinwissen. Dass unsere Banane ursprünglich nicht in Mittelamerika beheimatet war, dürfte für die meisten Leser von „Tiger an Deck“ wohl neu sein.
Überraschungen finden sich viele in diesem informationsdichten Buch. Allein schon deshalb, weil man sich normalerweise kaum Gedanken darüber macht, wie etwa die Kriegselefanten des Karthagischen Feldherrn Hannibal von Afrika nach Spanien gelangt sind. Wie transportierte man von der Antike bis in die Neuzeit hinein eigentlich Giraffen über die See oder wann und wie kamen eigentliche die Kamele nach Australien?
Elefanten, Pferde und Kamele – tierische Seefahrer
Tiertransporte gibt es seit der Antike. Und das nicht nur gelegentlich, sondern systematisch. Kriegselefanten überquerten mit Phyrrus oder Hannibal, Pferde mit Alexander dem Großen oder den Kreuzrittern das Mittelmeer. Millionen exotischer Tiere aus der ganzen antiken Welt wurden in geradezu industrieller Weise gefangen und mit Spezialtransporten über das Meer den römischen Zirkusspielen zur Vernichtung zugeführt. Mit Kolumbus, den Konquistadoren oder den Handelskompanien der Neuzeit gelangten Tiere und Pflanzen über die Weltmeere in andere Kontinente. Mit der Entwicklung von Handelsimperien und Kolonialreichen verbreiteten sich Rinder, Pferde, Kamele, Banane, Kartoffel, Tee als Nutztier- und Nutzpflanzenim- und exporte auf dem Seeweg über die ganze Welt. Und nachdem beispielsweise das europäische Rind in der frühen Neuzeit als koloniales Nutztier in der Neuen Welt eingeführt wurde, kehrt es nun als billiges Fleisch in die europäischen Supermärkte und „Frikadellenketten“ zurück.
Vom Kriegsross zum Schlachtvieh
Beim Streifzug durch die Geschichte der maritimen Tier- und Pflanzentransporte beginnt der Leser zu begreifen, dass Tiere oder Pflanzen an Bord keine historische Randerscheinung der Seefahrt, sondern in großem Maße Zweck derselben waren und sind. Der Autorin Birgit Pelzer Reith ist es mit ihrem, Buch „Tiger an Deck“ gelungen, die Grundlagen, Dimensionen, die evolutionären Wechselwirkungen, die historischen und technologischen Rahmenbedingungen der Tier- und Pflanzentransporte in Verbindung mit anschaulichen Anekdoten zu einem großen, spannenden und vielseitigen Thema zu verweben. Und natürlich verwundert es nicht, wenn dabei auch die modernen tierquälerischen Schlachtviehtransporte zur Sprache kommen.
Tier- und Pflanzentransporte zur See – eine unendliche Geschichte
Nicht nur die gut elf Seiten Literaturhinweise, auch die vielen Daten und Informationen, die dichtgepackt die Kapitel durchdringen, zeigen, dass die Autorin das Thema auf den rund 200 Textseiten des relativ kleinformatigen Buches „Tiger an Deck“ gerade einmal hatte anreißen können. Und obwohl (oder gerade weil) das Buch für Tierfreunde, Historiker oder Fans der Schifffahrtsgeschichte geradezu ein Muss ist, hätte man sich das Ganze durchaus eine Nummer größer gewünscht. Nicht nur, dass in diesem im besten Sinne populärwissenschaftlichen Buch Illustrationen einen echten Gewinn gebracht hätten, für so manche der im Text beinahe zwangsweise aneinandergereihten historisch-chronologischen Informationen hätte man sich als Leser ein wenig mehr literarischen Entfaltungsspielraum für die Autorin gewünscht.
Tiger an Deck – da steckt noch mehr drin
Keine Frage, „Tiger an Deck“ ist ein faszinierendes Buch mit spannenden Geschichten, spannender Geschichte, Überraschungen und interessanten Erkenntnissen. Das Thema: fast ein wenig zu groß für so ein kleines Buch. Damit ist aber die Hoffnung verbunden, dass die Autorin zum Thema noch einmal nachlegt. Mit ihren anderen Publikationen, „Sex & Lachs & Kabeljau. Das Buch vom Fisch“ und „Venus, Schildpatt, Knallgarnele. Alles außer Fisch“ hat die Molekularbiologin und Dozentin am Zentrum für Ernährung, Kultur und Gesellschaft der Universität Salzburg Pelzer-Reith schließlich ihre Affinität zu Meer und Getier unter Beweis gestellt.
Birgit Pelzer-Reith: Tiger an Bord, die unglaublichen Fahrten von Tieren und Pflanzen quer übers Meer. mareverlag 2011. Gebunden mit Schutzumschlag, 223 Seiten.
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