Wie sahen die portugiesichen Ostindienfahrer des 15/16. Jahrhunderts aus? Dieser Frage geht de Castro in „The Pepper Wreck“ auf den Grund. Denn obwohl die portugiesische Ostindienfahrt ein verhältnismäßig gut dokumentiertes Kapitel Schifffahrtsgeschichte ist, über Aussehen und Konstruktion der sogenannten Naus, die in der Ostindienfahrt eingesetzt worden waren, ist kaum etwas bekannt.
Keines der unzähligen Wracks die die Routen der „Pfefferschiffe“ säumen, konnte bislang in einem Zustand aufgefunden oder gar geborgen werden, die eine verlässliche Rekonstruktion des Originals erlaubt hätten. Archäologisch wertvolle Hinweise erbrachte jedoch das Wrack der „Nossa Senhora dos Mártires“, die bei der Rückkehr von ihrer Ostindienreise während eines Sturmes in der nördlichen Zufahrt zum Tejo, kurz vor Lissabon 1606 gestrandet war. Auch das Wrack der „Nossa Senhora dos Mártires“ war von Wind, Wellen und Strömung weitestgegend zerstört worden. Dennoch konnten die Überreste, deren Entdeckung, Identifikation und archäologische Dokumentation de Castro ausführlich beschreibt, wertvolle Hinweise für die Rekonstruktion eines idealtypischen portugiesischen Ostindienfahrers liefern.
Die portugiesische Nau
Filipe Vieira de Castro, Assistenzprofessor für Schiffsarchäologie an der Nordamerikanischen Texa A&M University beschreibt in seinen ersten Kapiteln die Entstehung und Entwicklung der portugiesischen Ostindienfahrt im 16. Jahrhundert, die Routen und die Gefahren, die zu den zahlreichen Schiffsverlusten geführt hatten. Dabei beschränkt sich de Castro nicht auf allgemeine Ausführungen, sondern bezieht zahlreiche historische Quellen und Berichte in seine Untersuchungen mit ein. So erhält der Leser in dem als kurze Einführung deklarierten Kapitel „The India Route“ bereits einen Überblick über die kommerziellen Indienfahrten der Portugiesen und eine kurze Beschreibung der dazugehörigen Schiffswracks, die bislang identifiziert werden konnten.
Mittelmeerische und Nordwesteuropäische Schiffbautraditionen werden diskutiert und auf ihren Einfluss auf die Indiennau, dem typischen portugiesischen Ostindienfahrer untersucht und diskutiert. Auch hierbei wird der Leser mit einer großen Zahl historischer Texte bekannt gemacht, auf der unsere Kenntnisse des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schiffbaus basieren. Interessant hierbei am Rande, dass de Castro auch das Manuskript von „Michael von Rhodos“ erwähnt, das, Jahrhunderte lang verschollen, zur Zeit von de Castros Untersuchungen auf einer Auktion wieder aufgetaucht, aber erst in den letzten Jahren einer wissenschaftlichen Auswertung zugänglich gemacht werden konnte.
Indienfahrt im 17. Jahrhundert
Während der Leser im Kapitel „The Ships“ also einen fundierten Einblick in die Bautechniken portugiesischer Werften auf der Basis der Schriften über Schiffskonstruktionen in Italien, Frankreich, England und Spanien des frühen 17. Jahrhunderts erhält, diskutiert der Autor aber auch die Probleme, die sich bei der Auswertung und Interpretation der historischen Quellen ergeben. Allein die unterschiedlichen Maße, die, weitab von jeder Normierung, in der damaligen Zeit zur Anwendung kamen, machen es außerordentlich schwer, etwa die durchschnittliche Größe eines portugiesischen Ostindienfahrers nur aus den Angaben in den zeitgenössischen Texten abzuleiten.
Bevor sich de Castro dem Fundplatz in all seinen historischen und archäologischen Facetten nähert, die Geschichte des Fundes, der Ladungsbergung und der Untersuchung der Überreste der „Nossa Senhora dos Mártires“, dem Pfefferschiff, ausbreitet, präsentiert er dem Leser eine Beschreibung der Reise nach Indien im frühen 17. Jahrhundert. Da findet sich der Leser, wieder unterlegt mit zeitgenossischen historischen Quellen, auf völlig mit Fracht und Menschen überfüllten viel zu kleinen Schiffen, bei denen aus Platzmangel sogar Ladung und Passagierkabinen außenbords transportiert wurden. Das Gedränge von Menschen, Tieren und Fracht bedeutete nicht nur Krankheit und Streit an Bord, sondern beeinträchtigte natürlich auch die Manövrierbarkeit der Schiffe, eine Reise nach Indien, wahrlich kein Vergnügen.
Gestrandet in der Tejo- Mündung
Nur 10 Prozent der „Nossa Senhora dos Mártires“, deren wertvolle Ladung aus lose transportierten Pfefferkörnern bei ihrer Strandung die Wasseroberfläche bedeckte, sind erhalten geblieben. Mühsam mussten die Überreste des Pfefferschiffes und seiner Ladung von den zahllosen Relikten anderer Strandungen der folgenden Jahrhunderte an der beinahe gefährlichsten Stelle der Indienfahrt, der Tejomündung unterhalb der Festung Saõ Julião da Barra, unterschieden und identifiziert werden. Auch diese Arbeit wird von de Castro detailliert dokumentiert, so dass der Leser nicht nur eine Übersicht der 14 bekannten Strandungen im Umfeld der Festung erhält, angefangen von dem spanischen Schiff San Juan Baptista, das 1587 Opfer der tückischen Fahrwasserverhältnisse geworden war und endend mit dem 1966 gestrandeten portugiesischen Schiff Santa Mafalda. Die Liste der havarierten Schiffe und Boote, die generell in der Nähe der Tejo- Mündung lokalisiert worden sind, reicht zurück in das 12. Jahrhundert und ist mit knapp 120 erheblich länger.
Die Rekonstruktion eines Pfefferschiffes
Die ausführliche Dokumentation der Überreste des Pfefferschiffes bilden den letzten Teil der wissenschaftlichen Bestandsaufnahme und Datensammlung zur abschließenden gründlichen Analyse und Rekonstruktion des Rumpfes einer portugiesischen Nau des 17. Jahrhunderts. Im Kapitel „Analysis and Reconstruction“ stößt der Leser dann auch wieder auf die historischen Quellen zum Schiffbau, die erst zusammen mit den archäologischen Erkenntnissen vom Wrack der „Nossa Senhora dos Mártires“ eine zwar solide, aber dennoch, wie der Autor betont, diskussionswürdige Rekonstruktionsgrundlage bilden.
Der Anhang, der einschließlich Index, Literaturhinweise und Anmerkungen knapp 100 Seiten des 287 Seiten umfassenden Buches ausmacht, ist ebenso wie das Buch selbst eine wertvolle Informationsquelle für den Schiffsarchäologisch und Schifffahrtsgeschichtlich interessierten Leser mit gewisser Vorbildung. Eine Übersicht über zeitgenössische Maßeinheiten, vor allem auch bezüglich der Tonnageangaben, eine Bibliografie zu iberischen Wracks und eine Liste der gefundenen 1902 Artefakte laden zum „Weiterforschen“ ein.
Filipe Vieira de Castro: The Pepper Wreck, a portuguese indiaman at the mouth of the Tagus River. Texas A&M University Press 2005.
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