Ein Buch über die Entdeckung eines Indienseglers aus der Frühzeit des Welthandels
Der Begriff Sensationsfund wird in der Archäologie recht inflationär verwendet, die Entdeckung der 1533 vor der südafrikanischen Westküste gestrandeten Bom (guter) Jesus darf zu Recht als ein solcher bezeichnet werden. Denn seit ihrem Untergang haben das portugiesische Schiff und seine Ladung von Menschenhand unberührt in ihrem nassen Grab gelegen, bis sie am 1. April 2008 vom Chefgeologen der Namdeb-Diamantenmine entdeckt und dem Minenarchäologen Dieter Noli gemeldet wurde. Was dann folgte, war in jeder Hinsicht aufregend.Die archäologische Dokumentation und Bergung der einzigartigen Zeitkapsel mussten unter einem enormen Zeitdruck vorgenommen werden. Und die Erkenntnisse, die Dieter Noli und der hinzugezogene Wolfgang Knabe, Experte für den frühen süddeutschen Handel, den Relikten mit geradezu kriminalistischem Spürsinn entlockten und 2012 in ihrem Buch „Die versunkenen Schätze der Bom Jesus“ veröffentlichten, sind für Geschichtsinteressierte tatsächlich spannend wie ein Krimi.
Die weite Welt der Fugger, Welser und Hirschvogel
Denn es ist zu einem großen Teil der deutsche Indienhandel, der auf den portugiesischen Schiffen jener Zeit abgewickelt wurde. Waren der deutschen Handelshäuser, allen voran der nahezu übermächtigen Fugger füllten - wie die Relikte der Bom Jesus anschaulich belegen - die Laderäume der Indienfahrer. Die Wirtschaftsriesen aus dem süddeutschen Raum finanzierten auch die Expeditionen der portugiesischen Krone, lieferten (schon damals) modernste Waffentechnik und hatten mit ihrer Dominanz in der Montanindustrie Zugriff auf die begehrtesten Rohstoffe der Welt. Wie sehr die Fugger, Welser, Herwart, oder Hirschvogel mit ihrer Marktmacht selbst die Venezianer, Genueser oder Florentiner beim ersten Globalisierungsprozess in den Schatten stellten, entwickeln die Autoren der „versunkenen Schätze“ anschaulich, Schritt für Schritt und unter verschiedenen Perspektiven. Die ergeben sich als Anlass zu tiefergehenden Recherchen direkt aus der Ladung der Bom Jesus. Da sind die modernen Geschütze des 1532 vom Stapel gelaufenen Schiffes, deren Rohstoffe aus den Mienen der Fugger stammen dürften und die in den Gießereien in Nürnberg hergestellt wurden. Die 1845 geborgenen ursprünglich jeweils rund 20 Kilogramm schweren kupfernen Halbkugeln trugen die Handelsmarke des Augsburger Fugger-Unternehmens. Bleirollen und –platten, deren Zeichen auf die beiden Handelshäuser Fugger und Welser hinweisen, fanden sich ebenfalls im Bauch der Bom Jesus, ein unverzichtbarer Rohstoff, der nicht nur als Legierungsbestandteil für Zinn, als Beigabe zur Glasproduktion, zur Keramikherstellung zur Abdichtung von Fenstern und Dächern, für Munition, sondern auch zur Farbherstellung (insbesondere dem Unterwasseranstrich für Schiffe) oder zum Kalfatern, dem Abdichten der Plankennähte, verwendet wurde.
Gefahrguttransporte in der Frühen Neuzeit
Selbst die Eisenteile, die das Unglücksschiff zusammenhielten, dürften dem Warenkatalog der Fugger entstammen. Denn nachdem der schwedische König 1525 die Ausfuhr von Roheisen verboten hatte, war Deutschland der unangefochten größte Eisenproduzent und Exporteur in Europa. Quecksilber gehörte in der Frühen Neuzeit zu den Rohstoffen, auf die sich die Fugger und Welser ein weltweites Produktions- und Handelsmonopol gesichert hatten. Auch die Bom Jesus trug – wie Dieter Noli aus den Funden ableitet – rund zwei Tonnen des hochgiftigen flüssigen Metalls in ihren Laderäumen. Auf diesem Schiff dürfte das Quecksilber in glasierte und versiegelte Tonkrüge verpackt worden sein, von denen sich Bruchstücke im Wrack fanden. Als weitere Verpackungsmöglichkeiten sind Ledersäcke oder kleine Fässer bekannt. 11,9 Liter fassten beispielsweise solche Quecksilberfässchen und brachten dabei zeitgenössischen Quellen zufolge ein Gewicht von umgerechnet 162,8 Kilogramm auf die Waage. Quecksilber war übrigens nicht das einzige gefährliche Gut, das die Schiffe der damaligen Zeit in der Welt verbreiteten. So weisen die Bleiplatten zur Herstellung des Unterwasserschutzanstrichs auch auf Toncontainer mit konzentrierter Schwefelsäure hin. Denn die war zur Produktion des Bleiweiß zwingend notwendig.
Das Problem mit der Ladungssicherheit
Und so mag die Havarie des modernen und nagelneuen Schiffes nicht nur den Wetterbedingungen nahe dem Kap der guten Hoffnung zuzuschreiben sein, sondern möglicherweise auch dem Bruch eines der Quecksilberbehälter. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sich die giftigen Dämpfe des Schwermetalls in einem Schiff verbreitet, die Lebensmittel vergiftet und die Mannschaft binnen kurzer Zeit außer Gefecht gesetzt hätte. Dass es die Mannschaft der Bom Jesus vor diesem Hintergrund vom Ort des Mastverlustes etwa 3000 Kilometer vom Kap entfernt mit dem nahezu manövrierunfähigen Schiff noch bis vor die Küste im Süden Namibias geschafft hat, grenzt an ein Wunder. Denn die Vergiftungstheorie ist vor dem Hintergrund der sträflich ungesicherten Quecksilberladung recht wahrscheinlich. Die Krüge mit dem Quecksilber waren nämlich jeweils zu zweit in Holzkisten verpackt auf den auf dem Boden des Laderaums ausgebreiteten Kupferhalbkugeln gelagert. Um das Hin- und Herrollen eines Fasses zu verhindern war diese Art der Lagerung zwar recht gut geeignet, eine Kiste ließ sich auf diese Weise allerdings kaum am Rutschen hindern.
Ein deutsches Wirtschaftsimperium von Indien bis Amerika
Viele denken bei dem Thema Entdeckungen und Handel an die traditionellen Tauschobjekte wie Glasperlen, Axtköpfe, Stoffe oder Nadeln wie sie von den Nordamerika- Südsee- und Australienexpeditionen des 17. bis 19. Jahrhunderts bekannt sind. Die erheblichen Mengen von wertvollen Rohstoffen und Waren, bis hin zu Elfenbein, die im 16. Jahrhundert von den Europäern nach Indien(!) verschifft wurden, weisen auf ein ganz anders Kaliber des globalen Austauschs der Frühen Neuzeit hin. Und wenn sich der Leser die Kapitel zu den süddeutschen Handelshäusern, den Geschäftsprinzipien, den internationalen Verflechtungen und Wirtschaftsstrukturen zu Gemüte führt, kommt er bisweilen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Etwa, wenn die Rede von den Besitzungen und Bergwerken der Fugger in den brasilianischen Kolonien Portugals die Rede ist oder wenn er erfährt, dass die Fugger mehr oder weniger direkt auch bei den spanischen Entdeckungsfahrten in die Neue Welt, im Karibikhandel und bei den spanischen Silberminen ihre kapitalkräftigen und damit von der Krone privilegierten Finger im Spiel hatten.
„Bom Jesus“: spannend, verständlich, informativ
So wie das Wrack der Bom Jesus für die Archäologen, ist das Buch für den Leser eine wahre Schatztruhe an Informationen und Erkenntnissen, die in diesem Beitrag nur zum Teil skizziert werden konnten. Das liegt auch daran, dass es den Autoren gelingt, den Leser an bestimmten Überlegungen – etwa wenn es um die Rekonstruktion des Kurses der Bom Jesus, der Havarie und dem Schicksal der Mannschaft geht – teilhaben lässt. Und wenn sich dann noch herausstellt, dass die Bom Jesus möglicherweise sogar noch mit einem Spezialauftrag seiner portugiesischen Majestät unterwegs war, dann kommt noch eine Prise Geschichtskrimi hinzu. Mit der Lektüre des Buches erhält der Leser nicht nur einen tiefen und differenzierten Einblick in die Welt von Handel, Wirtschaft und Seefahrt der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, sondern auch einen Blick für Zusammenhänge und Entwicklungen einer Zeit, die den meisten Menschen bestenfalls in Form von ein paar Namen und Jahreszahlen präsent ist. Und nicht zuletzt macht die zwar präzise aber unterhaltsame, lebendige Sprache, die auf Fach- und Fremdwörtergeschwurbel vollständig verzichtet, das umfangreich illustrierte Buch für Geschichts- und Schifffahrtsfans zu einem Muss.
Wolfgang Knabe, Dieter Noli: Die versunkenen Schätze der Bom Jesus. Sensationsfund aus der Frühzeit des Welthandels. Nicolai 2012. 283 Seiten.
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