Michael von Rhodos war ein Seemann des 15. Jahrhunderts, der seine Laufbahn 1401 als Ruderer auf einer venezianischen Galeere begonnen und es im Laufe seiner 44-jährigen Karriere bis zum Flottenkapitän Venedigs gebracht hatte. 1434 begann er mit der Niederschrift seines maritimen Handbuchs.
Eine wahre Odyssee hatte das rund 400-seitige Manuskript des venezianischen Seefahrers hinter sich, bevor es von einem internationalen Wissenschaftlerteam acht Jahre lang analysiert und schließlich als dreibändiger Forschungsbericht publiziert wurde.
Das Manuskript gibt nicht nur einen detaillierten Einblick in das Berufsleben des mittelalterlichen Autors, sondern es dokumentiert auch die schiffbaulichen, astrologischen, mathematischen und navigatorischen Kenntnisse einer der führenden See- beziehungsweise Handelsmächte seiner Zeit. Dabei besteht der wissenschaftliche Wert des Manuskriptes nicht in der Offenbarung bislang unbekannter Informationen, wie die Mitglieder der internationalen Forschergruppe am Massachusetts Institute of Technology (MIT), USA, in ihren im 3. Band von „The Book of Michael of Rhodes“ publizierten Studien erläutern. Die Bedeutung des Manuskriptes liegt unter anderem in der Lebensgeschichte des Autors selbst, über dessen beruflichen Werdegang seine Aufzeichnungen zwar detailliert Aufschluss geben, über dessen Herkunft, Charakter und Privatleben aber nur spekuliert werden kann.
Mittelalterliche Schifffahrt
Die Überschrift der Einführung sagt es deutlich. Es geht um „The World of Michael of Rhodes“, die Welt eines venezianischen Seefahrers, die anhand der Analyse des Manuskriptes und der beruflichen Karriere des nicht adeligen Ausländers in venezianischen Diensten, vor dem Leser ausgebreitet wird. Der Leser erhält tiefen Einblick in die Organisation und Struktur der Kriegs- und Handelsflotte der Lagunenstadt, in Dienstgrade, Aufstiegsmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen, in Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen des von der adeligen Führungselite kontrollierten italienischen Stadtstaates. Die Handelsbeziehungen vom schwarzen Meer bis nach London und Flandern, die Bündnisse und Kriege mit dem osmanischen Reich, die unerbittliche Gegnerschaft zum Konkurrenten Genua und nicht zuletzt natürlich die komplizierten Beziehungen zu Byzanz spiegeln sich in der beruflichen Biografie des vermutlich griechischstämmigen Michael von Rhodos wider.
Michael von Rhodos
Michael hatte mit seinem Manuskript letztendlich einen umfassenden Überblick über das maritime Wissen seiner Zeit einerseits und seine persönlichen beruflichen Erfahrungen andererseits geliefert.
Zu recht stellen sich die Wissenschaftler aber die Frage: warum eigentlich. Immerhin war es in jener Zeit nicht gerade üblich, dass ein Seemann, und erst recht ein nicht adeliger Seemann, wissenschaftlich- technische Bücher verfasst. Einig sind sich die Forscher darüber, dass das Manuskript nicht der Ausbildung des Seefahrernachwuchses dienen sollte. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei dem umfangreichen Werk um so etwas wie eine mittelalterliche Bewerbungsmappe handelte. Denn der Inhalt umfasst ein wenig salopp formuliert vor allem den beruflichen Werdegang und die dabei erworbenen Qualifikationen, die von der kaufmännischen Mathematik über die Grundlagen des Schiffsbaus bis zum nautischen Handbuch reichten. Und die penible Auflistung der Offiziere, unter denen er in Kriegs- und Handelsmarine gedient hatte, könnte durchaus als Referenzliste verstanden werden.
Das Manuskript des Michael von Rhodos
Tatsächlich mussten sich Kapitäne und Flottenführer vor einem adeligen Gremium für jede Kampagne immer wieder neu um ein Kommando bewerben. Da konnte es hilfreich sein, seine Erfahrungen, Kompetenzen und gesellschaftlichen Verbindungen zu präsentieren. Üblich war das zu Michaels Zeiten in jener umfassenden niedergeschriebenen Form noch nicht. Daher darf durchaus angenommen werden, dass Michaels Manuskript ein Dokument für die sich verändernde Wissenskultur der Frührenaissance darstellt. Für diese Einschätzung spricht übrigens auch, dass Michael Teile seines Manuskriptes an Kollegen verkaufen konnte, die dieses dann unter eigenem Namen publizierten.
Anfang des 16. Jahrhunderts begannen die Manuskripte und Kopien in Vergessenheit zu geraten, erst 1840 veröffentlichte der damals führende Fachmann des mittelalterlichen Schiffbaus, Augustin Jal in seiner „Archaeologie Navale“ einen Text über die Konstruktion von Galeeren, der für die nächsten 120 Jahre zur wissenschaftlichen Standardliteratur zu diesem Thema wurde, ohne dass jemand wusste, dass der ursprüngliche Autor Michael von Rhodos gewesen war.
Michael von Rhodos, das Original
Anfang des 20. Jahrhunderts tauchte das Originalmanuskript bei einem Historiker der Universität von Turin wieder auf, wechselte mehrmals den Besitzer und wurde 1966 bei Sotheby´s versteigert. Hier erkannten die Wissenschaftler zwar die Bedeutung des Originals, ersteigert wurde es aber von einer Privatperson und wieder war das Manuskript aus der Öffentlichkeit verschwunden. Im Jahre 2000 schließlich kam das einzigartige Dokument zum zweiten mal bei Southeby´s unter den Hammer und wurde wieder von einem Privatmann ersteigert. Der allerdings stellte es der Wissenschaft zur Forschung zur Verfügung.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Insgesamt besteht die Publikation aus Band 1, einem prächtigen kommentierten Faksimile des Originalmanuskriptes, Band 2, der ebenfalls kommentierten Transkription und Übersetzung des Originals (ins Englische) und dem hier rezensierten Band 3 mit der Präsentation und Diskussion der Forschungsergebnisse. Für Wissenschaftler, Studenten, Historiker aber durchaus auch Laien mehr als nur ein intellektuelles Erlebnis. Band 3, so versprechen die Autoren, kann inhaltlich für sich alleine stehen. Das stimmt zwar, aber nach der Lektüre von „Volume 3“ bekommt man einfach Lust auf mehr.
Pamela O.Long (Hrsg): The Book of Michael of Rhodes, Volume 3: Studies. MIT Press 2009. Gebunden, 384 Seiten.
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