Freitag, 9. September 2016

Die Eissegler

Von Schlitten und Menschen

Wenn die modernen Eisjachten mit mehr als 100 Km/h über zugefrorene Seen oder Küstengewässer jagen, ist das ein eindrucksvolles Spektakel. Spektakulär waren auch die Fahrten der Eissegler in den vergangenen Jahrhunderten, als mit den Segelschlitten die Versorgung der Boddenbewohner über die zugefrorene Ostsee gesichert wurde. Hermann Winkler erinnert mit seinem Buch Die Eissegler an die Geschichte und Geschichten einer Zeit, als das Eissegeln zum Arbeitsfeld der Fischer und Fährleute gehörte.


Über 400 Jahre lässt sich die Geschichte des Eissegelns zurückverfolgen. Bereits zeitgenössische holländische Landschaftsmalereien des beginnenden 17. Jahrhunderts zeigen Segelboote, an deren Unterseite Kufen montiert waren. Und kein geringerer als der Schiffsbauer Henrik af Chapman hat 1768 die älteste bekannte Konstruktionszeichnung eines speziellen Eisseglers angefertigt. Auch an der südlichen Ostseeküste dürfte das Eissegeln eine ebenso lange Tradition haben wie die Seefahrt in dieser Region. Es waren die Bauern und Fischer der Boddendörfer und der Inseln, die mit ihren Pike- und Segelschlitten Personen und Fracht, Post und Vieh über das trügerische Eis transportiert hatten. Die ersten schriftlichen Hinweise finden sich in den Berichten des Oberfischereimeisters Wilhelm Beerbohm aus dem Jahre 1830 und in Zeitungsanzeigen über schwere Eisunfälle.

Mit sechzig Sachen auf Fischräuberjagd

Um Konstruktion und Segeleigenschaften des typischen Fischländer Schlittens zu beschreiben, zitiert der Autor den ersten mecklenburgischen Bezirksfischermeister im Ribnitzer Revier, August Steffen. Der hatte 1899 unter dem Titel Ein praktischer Segelschlitten in der Stettiner Zeitschrift für Fischerei eine umfangreiche Abhandlung verfasst. Gemeint war damit der Dienstschlitten des Aufsehers, mit dem er nach eigener Beschreibung mit 60 km/h zwischen Eisfischern und ihrem Gerät hindurchflitzte und Jagd auf Fischdiebe machte. „Da ist“, so der wackere Amtmann, „eine Aussicht auf Entkommen seitens der Fischdiebe und Fischereikontravenienten (Gesetzesübertreter) nicht zu wohl denken.“
Zur Zeit der Beschreibung des Fischereiaufsehers sollen im Winter noch rund 200 Schlitten über das Eis des Bodden gesegelt sein. Heute gibt es dort immerhin noch 60 bis 70 solcher Fahrzeuge, darunter zahlreiche originalgetreue Nachbauten.

Von Segelschlitten und menschlichen Eisseglern

Es ist also kein Wunder, dass der Autor des Buches nicht nur auf die alten Quellen zurückgreifen muss, wenn er etwas über diese speziellen Fahrzeuge erfahren möchte. Denn die Eissegelei ist noch heute gelebte Tradition. Und so finden sich Auszüge und Zusammenfassungen von Interviews mit Bootsbauern und Seglern, deren Familiengeschichten dem Leser sehr lebendige Eindrücke von dem abenteuerlichen maritimen Wintergeschäft vergangener Zeiten vermitteln. Das Segeln mit den Eisschlitten hatte zudem seine Besonderheiten und speziellen Tücken. Da wäre zunächst die Segeltechnik, die sich vom Wassersegeln unterscheidet. Das Geheimnis der Eissegler ist nämlich der „scheinbare Wind“, der dem Fahrzeug eine größere Geschwindigkeit verleiht, als die, die der wahre Wind selbst aufweist. Sicher gibt es dieses Phänomen auch beim Wassersegeln, die Eissegler nutzen den scheinbaren Wind jedoch in ganz besonders effektiver Weise.

Eine besondere maritime Welt

Es ist sicherlich nicht die Geschwindigkeit und die glatte Oberfläche des Fahrtgrundes allein, die das Eissegeln vor allem in alten Zeiten zu einer abenteuerlichen und gefährlichen Angelegenheit machte. Verborgene Eisspalten, plötzliche Windänderungen und sicherlich auch gelegentlicher Übermut führten immer wieder zu schweren Unfällen mit Todesopfern. Es ist kein Zufall, dass es zahlreiche Begriffe zur Eislage für den Segler gibt. Als Stichworte seien hier nur Blänke (Löcher im Eis), Boste (Risse Sprünge) oder Schaumeis (im Wind oberflächlich zugefrorene, nicht tragfähige offene Stellen) genannt. Mit dem Buch Die Eissegler taucht der Leser jedenfalls in eine weitgehend unbekannte maritime Welt ein, schwelgt in Geschichte und Geschichten und erfreut sich an den zahlreichen Illustrationen und oft ganzseitigen Fotos. Ein ungewöhnliches und spannendes Thema, auf interessante Weise und vielseitig aufgearbeitet und vermittelt.

Hermann Winkler: Die Eissegler. Hinstorff 2016. Gebunden, 109 Seiten.

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