Montag, 29. Juni 2015

Essay: Seefahrt und die Fremde



Im Rahmen der Wochenserie “Der Reiz des Fremden“ führte Otmar Willi Weber vom Nordwestradio am 29.06.2015 ein Telefon-Interview mit Wolfgang Schwerdt, dem Autor von „Forscher, Katzen und Kanonen“. Auf die vorab per email übermittelte Fragestellung, hatte sich Schwerdt mit dem hier publizierten Essay inhaltlich vorbereitet. Die Fragestellung: „Historisch gesehen hat sich durch die Seefahrt unser Horizont erweitert. Aber was trieb die Weltentdecker an, Neuland zu suchen? Wie sind sie vorgegangen und vor allem: welche Folgen hatte die Entdeckung des "Neuen"?“


Essay: Seefahrt und die Fremde


Was trieb die Weltentdecker an, Neuland zu suchen?
Es wird oft behauptet, dass es die Abenteuerlust, die Lust am Entdecken war, die die Seefahrer in die Ferne, in die Fremde trieb. Das sei, so die weit verbreitete Meinung, eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation, der Boatpeople im Mittelmeer oder in Asien scheint diese Annahme allerdings ein wenig idealistisch geprägt. Wirtschaftliche Not und politische Verfolgung in Verbindung mit krimineller Energie der Schleuserbanden treiben hier die Menschen aufs Meer, in der Hoffnung in der Fremde eine Existenzgrundlage zu finden. Angst vor dem und Abwehr des Fremden treibt hierzulande viele Menschen in abstruse Verhaltens- und Denkweisen, die alles andere als – und sei es auch nur kulturelle - Entdeckerlust signalisieren.

Es war die Suche nach neuen Wegen und kommerziellen Ressourcen, nicht nach Neuland!
Christoph Columbus und die anderen Entdecker brachten sicherlich die Abenteuerlust als persönliche Eigenschaft mit. Aber bereits bei den Mannschaften dürfte diese Motivation in Frage stehen. Nicht nur dem offiziellen Amerikaentdecker drohte angesichts des Vorstoßes in unbekannte Gefilde die durch Meuterei erzwungene Umkehr. Warum dennoch Neuland entdeckt wurde? Wegen der Hoffnung auf Karriere und Reichtum. Die zur Zeit des Kolumbus tatsächlich unbekannten Regionen der Erde wurden auf der Suche nach Seewegen in längst bekannte Regionen entdeckt. Die Suche nach der Nordwestpassage oder generell dem Seeweg nach Ost-, West- und Südasien sei hier als spektakuläres Beispiel genannt. Der Elite der europäischen Kaufleute waren diese „fremden Länder“ sowohl über Berichte und Handelskontakte als auch teilweise aus eigener Anschauung durchaus bekannt, denn abgesehen vom amerikanischen Kontinent, Australien und der pazifischen Inselwelt gab es bereits seit der Antike intensive Beziehungen zwischen den miteinander in vielfältiger Weise verflochtenen Kulturkreisen der riesigen eurasisch-afrikanischen Welt.
Die Entdeckungsreisen des Sir Francis Drake, seine Erkundung der Küsten des amerikanischen Kontinents, waren wie die meisten Entdeckungsreisen seiner Zeit kommerziell angelegte Raubzüge.
Tatsächlich ging es um Wirtschaft und Ressourcen, die dazu führten, dass durchaus wagemutige Menschen oder Kaufmannsorganisationen von den jeweiligen europäischen Herrschern den Auftrag und/oder die Erlaubnis erhielten, in Übersee und an der Konkurrenz vorbei nach Ressourcen und Handelspartnern zu suchen. Und die Entdeckung, dass es noch mehr gab, als die damals bekannten Handelspartner, versprach natürlich eine gewisse Exklusivität bei der Ausbeutung von neuen Ressourcen. Das Kennenlernen der Fremde und des Fremden war dabei nur insofern wichtig, als es dem Ziel der Expedition diente. Und so ist es auch kein Wunder, dass in den jeweiligen Berichten kaum verlässliche Aussagen über die neu entdeckte Kultur zu finden sind, sondern bestenfalls Interpretationen von fremden Verhaltensmustern auf der Basis eigener Werte- und Kulturvorstellungen. Dabei wird – bei allem Trennenden - immer wieder eine vermeintliche Gemeinsamkeit zwischen allen Völkern und Kulturen festgestellt: Das angebliche Interesse am Handel nach europäischen Vorstellungen. Eine Auseinandersetzung mit dem Fremden über die ökonomischen Aspekte hinaus war in der Seefahrt selbst auch gar nicht notwendig.

Zur See war überall Europa oder „meine Heimat ist das Meer (Schiff)“
Denn die Schiffe der Entdecker, aber auch die Schiffe der ihnen folgenden Handelsorganisationen, beispielsweise der Ostindienkompanien und Kolonialmächte, waren in jeder Hinsicht europäische Welten, ein Stück Heimat, mit der man sich in die Fremde begab. Sie boten in sozialer und kultureller Hinsicht Vertrautes, Sicherheit, die meist durch die überlegene Waffentechnik gegenüber dem Fremden garantiert wurde. Solange sich der Mensch also an Bord befand und ausreichend Vorräte zur Verfügung hatte, war er überall auf der Welt zu Hause, die Fremde begann an der Küste. Die wurde in der Regel auch nur aufgesucht, um sich mit Frischwasser und Nahrung zu versorgen, das Schiff zu reparieren, Handel zu treiben oder Raubzüge zu veranstalten. Die eigentliche Begegnung mit fremden Kulturen fand in den indigenen oder europäischen Handelsstützpunkten sozusagen unter kommerziell geregelten Bedingungen statt. Es war die Seefahrt, die die Errichtung von Stützpunkten in aller Welt und den Austausch von Handelsgütern zwischen den Kontinenten überhaupt möglich machte. Es waren die Menschen in den Niederlassungen, die sich tatsächlich mit den kulturellen Eigenheiten ihrer Handelspartner, den politischen Verhältnissen, den Mentalitäten der fremden Kulturen auseinandersetzen mussten. Denn an Land, in der Fremde waren vor allem die Europäer alles andere als autark. Dort hing ihre Existenz und ihr Erfolg von ihrer Anpassungsfähigkeit, der interkulturellen Akzeptanz von kommerziellen Regeln und im Einzelfall auch ihrer (vor allem flottengestützten) militärischen Stärke ab.

Die Folgen der Entdeckung des Neuen
Die Entdeckung des amerikanischen Doppelkontinents brachte zunächst einmal das Bewusstsein nach Europa, dass die Erde größer war, als angenommen und dass es daher noch viele bislang unbekannte Orte auf dem Globus geben dürfte, deren Entdeckung und Inbesitznahme sich für den Entdecker und die jeweiligen europäischen Herrscherhäuser als sehr profitabel erweisen könnte. Sie brachte aber auch die Erkenntnis in das Bürgertum, dass das biblische Weltbild, die christliche Moral und vor allem die kirchlich geprägte Wissenschaft im Wettlauf der Europäer um die globalen Ressourcen nicht sehr zweckmäßig war. Was der Seefahrer dringender denn je brachte, waren präzise Vermessungsmethoden für eine zuverlässige Kartografie, eine verbesserte Navigation und vor allem eine funktionierende Ortsbestimmung. Denn was waren all die profitablen neuen Welten Wert, wenn sie der Entdecker nicht wiederfinden konnte. Eine Folge also war die rapide Entwicklung der praxisorientierten und experimentellen Naturwissenschaften, allen voran der Mathematik, Astronomie, Physik. Diese Wissenschaften hielten auch Einzug in die Waffen- und Schiffbautechnik, die den Europäern eine globale Dominanz bei militärischen Auseinandersetzungen sicherte und damit die Voraussetzung (nicht die Notwendigkeit) schaffte, die globalen Handelsrouten (nicht unbedingt die Märkte!) zu kontrollieren.

Eine Frage der Perspektive
Es ist nicht leicht, die Folgen der geografischen Entdeckungen durch Europa zu formulieren. Denn je nach Kultur, Sichtweise, Bevölkerungsteilen, Kontinent, Blickwinkel und Fragestellung, sind diese unglaublich unterschiedlich. Zudem waren die europäischen Neuentdeckungen global und weltgeschichtlich gesehen kein wirklich einschneidendes Ereignis. Jedenfalls keines, aus dem sich eindeutige und vor allem allgemeingültige Ursache-Folgen-Beziehungen ableiten lassen. Alles, was heute als Folge der Neulandentdeckung gewertet wird, hat eine Jahrhunderte lange Vorgeschichte. Und beispielsweise die „Entdeckung der Neuen Welt“, also Amerikas hatte für den Doppelkontinent und Europa völlig andere Konsequenzen als die „Entdeckung“ des Seewegs nach Indien für die südostasiatische Welt.  Die Entdeckung Amerikas – um das Thema Neuland noch einmal aufzugreifen - war mithin keine zentrale Ursache für die weitere historische Entwicklung Europas und der Welt, sondern eines von vielen Ergebnissen vorangegangener Prozesse. Das gilt auch für die Frage nach dem Verhältnis zum Fremden, zur Fremde. Da spielen Mobilitäts- und Bildungsfragen eine ebensolche Rolle, wie Herrschaftsformen und politische Strukturen, nicht zuletzt natürlich auch religiöse und wirtschaftliche Aspekte.

Besuchen Sie auch den Blog zum Buch von Wolfgang Schwerdt "Forscher, Katzen und Kanonen".

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen