Montag, 4. Mai 2015

Seeungeheuer und Monsterfische



Sagenhafte Kreaturen auf alten Karten von Chet Van Duzer


Wer kennt sie nicht, die schönen alten Karten mit den phantasievollen Seeungeheuern und Monstern, die sich zwischen Kontinenten und Inseln tummeln und so manches Schiff drohen, in die Tiefe zu ziehen. Chet Van Duzer hat sich in seinem Buch Seeungeheuer und Monsterfische intensiver mit den merkwürdigen Kreaturen auf historischen Karten befasst und stellt dem Leser teils erwartete, teils unerwartete Erkenntnisse zur Kartographie des Mittelalters und der Renaissance vor.

Für uns stellen die Monster und Seeungeheuer auf alten Karten vor allem oft recht phantasievolle dekorative Elemente dar, deren ursprüngliche Bedeutung sich auf den ersten Blick in der Darstellung unbekannter Gefahren in fremden Gewässern zu erschöpfen scheint. Doch diesen maritimen Schreckgespenstern lassen sich bei genauerer Betrachtung weitaus mehr Informationen entlocken. So belegt Chet Van Duzer beispielsweise, dass sich die Kartographen bei der Darstellung der merkwürdigen Kreaturen nicht nur ihrer Phantasie, sondern auch der jeweils neuesten wissenschaftlichen Publikationen über die Tierwelt bedient hatten. Hinzu kommt, dass einige Karten von Ungeheuern nur so wimmeln, zeitgenössische Kopien gelegentlich völlig ohne das mythologisch-biologische Bedrohungspotential auskamen.

Seegetier im biblischen Weltbild

Die Bedeutung der dargestellten Monster hängt von zahlreichen Faktoren ab. Da wäre zum einen die Funktion der jeweiligen Karte selbst. Die Ungeheuer der sogenannten Beatuskarten (entstanden zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert), also Illustrationen zu den Handschriften des Apokalypsenkommentars des Beatus von Liébana, haben ihre Aufgabe in der ikonografischen Vermittlung biblischer Texte und eines biblisch-antiken Weltbildes. Hier findet der Betrachter der mappae mundi (Weltkarten) im Oceanus, der die dreigeteilte kreisrunde Welt umfließt, beispielsweise zahlreiche Monster antiker aber auch mittelalterlicher Tradition, Seeschlangen, Sirenen oder Mensch-Tier-Mischwesen. Und selbstverständlich fehlt auch der Wal des Jonas nicht.

Auch eine Frage des Budgets

Dennoch gibt es für die Karten des betrachteten Zeitraums weder ein festgelegtes Bestiarium, noch einheitliche Positionierungen, noch ein verbindliches ikonographisches Programm denen die Kartographen bei der Erstellung oder Kopie ihrer Werke verpflichtet waren. Die Frage, ob und wieviel Seeungeheuer auf der jeweiligen Karte hausen durften, hing wohl auch – so vermutet der Autor – vom Geldbeutel des Auftraggebers ab. Und die auf den Karten verewigten Monster selbst hatten ihren Ursprung nicht nur in der Mode der jeweiligen Zeit, sondern auch im Kenntnisstand des Kartographen hinsichtlich der neuesten wissenschaftlichen Publikationen zum Tierreich. So können sich auf einer Karte gar keine Seeungeheuer finden, auf einer zeitlich und stilistisch Vergleichbaren desselben oder anderer Verfasser antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Seeungeheuerdarstellungen unterschiedlicher Ausführungsqualität.

Vom Schreckgespenst zum Meerestier

Bei aller überraschenden Komplexität des Themas und vieler ungeklärter Fragen lassen sich doch gewisse kulturgeschichtliche Entwicklungen bei den tierischen Illustrationen erkennen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts (und damit auch dem Ende der Seeungeheuer auf alten Karten) vermitteln die teils sehr phantasievollen, teils realistischer werdenden (Wale, Walrosse, Kraken) monströsen Meereslebewesen nicht mehr die furchterregende Bedrohung, das Ausgeliefert sein des wagemutigen Seefahrers, sondern die Unterordnung, die Beherrschung der tierischen und natürlichen Gefahren durch den Menschen. Verständlich, dass „die Verbesserung der nautischen Technik während des 17. Jahrhunderts und das zunehmende menschliche Vertrauen ins Erreichen der Herrschaft über die Meere“, wie es Chet Van Duzer formuliert, die Seeungeheuer schließlich von den Karten verschwinden ließ.

Spannendes seefahrtsgeschichtliches Spezialwissen

Seeungeheuer und Monsterfische ist ein sehr interessantes und anschauliches Buch zu Ikonografie, Methoden und  Quellen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Karten, das mehr als nur Wissen über die maritimen Phantasiewesen vermittelt.

Chet Van Duzer: Seeungeheuer und Monsterfische. Sagenhafte Kreaturen auf alten Karten. Philipp von Zabern 2015. Gebunden mit Schutzumschlag, 144 Seiten.

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