Samstag, 4. April 2015

Archäologie im Mittelmeer

Ein Buch über versunkene Schiffswracks und vergessene Häfen.

4675_Cover_Archäologie im MittelmeerKaum ein Gewässer kann auf eine so umfangreiche und lange Seefahrtsgeschichte zurückschauen, wie das Mittelmeer. Seit prähistorischen Zeiten diente das Mare Nostrum, wie es die Römer nannten, dem Austausch zwischen den zahlreichen Hochkulturen seiner Küsten und deren Hinterland. Sei es in Form von Warenaustausch, Raubzügen oder Kriegen. Das unterwasserarchäologische Aufkommen ist dagegen erstaunlich bescheiden, obwohl der Meeresboden und die Küsten mit den kulturellen Hinterlassenschaften unserer Vorfahren übersäht sein dürften. Archäologie im Mittelmeer möchte dem Leser den aktuellen Stand der Mittelmeerarchäologie nahebringen.

Das Buch beginnt mit der Versenkung des historischen Nachbaus eines in den 80er und 90er Jahren ausgegrabenen spätbronzezeitlichen Schiffes im Jahre 2006. Anhand der im Dienste der Wissenschaft 2,5 Kilometer vor der türkischen Küste versenkten Rekonstruktion des rund 3300 Jahre alten Uluburun-Wracks wollten die Forscher unter anderem Bedingungen und Ablauf des Zerfalls eines Schiffes nach dessen Untergang studieren. Zudem ist das Wrack, dessen Transformationsprozess im Rahmen des Essays beschrieben und analysiert wird, Teil eines Trainingsplatzes für Unterwasserarchäologen und Sporttaucher. Für den Leser bildet der erste Aufsatz eine Einführung in die Herausforderungen, denen Archäologen im Mittelmeer sowohl praktisch als auch wissenschaftlich begegnen.

Die Häfen Roms

Dass sich Unterwasserarchäologie im Mittelmeer nicht im Ergraben spektakulärer Schiffswracks erschöpft, zeigt bereits der zweite Aufsatz des Buches. Die Tatsache, dass es Rom als Zentrale des Imperiums an einem richtigen Hafen fehlte, hatte schließlich 42 n. Chr. unter Kaiser Claudius zum Beginn des Baus eines großen Hafenbeckens 3 Kilometer nördlich der Tibermündung geführt. 64 nach unserer Zeitrechnung wurde der Hafen unter dem Namen Portus Augusti Ostiensis von Nero eingeweiht. Die neue komplexe Hafenanlage hatte dem alten und für das gewaltige Frachtaufkommen ungeeigneten Hafen von Ostia schnell den Rang abgelaufen. Anlässlich der Bauarbeiten zum Leonardo da Vinci Flughafen zwischen 1958 und 1965 fanden sich neben einem Teil der Mole des von Claudius erbauten Hafenbeckens auch die Überreste von acht antiken Schiffen, von denen fünf geborgen und konserviert wurden. Die Grabungen bei Portus und Ostia sowie die teils einzigartigen Schiffsfunde bestätigen das komplexe Bild, das die historischen Quellen zeichnen und ergänzen es zudem um neue Erkenntnisse, die dem Leser im Rahmen des Aufsatzes vermittelt werden.

Römische Tankschiffe

„Ouest Giraglia 2“ ist das vorerst letzte von bislang lediglich 11 Wracks, die ein ganz besonderes kommerzielles Phänomen der Antike belegen: den Weinhandel mit echten Tankschiffen. Das Besondere an diesem Fund: ein komplett erhaltener Schiffsrumpf und einigen intakten doliae. Ein dolium ist ein tönernes Vorratsgefäß, dessen Dimensionen von 2.500 Litern Fassungsvermögen und einer Höhe von bis zu 2 Metern erreichen konnten. Um solche Mammuttöpfe unterschiedlicher Größe, die den zentralen Laderaum bildeten, wurden – wie die archäologischen Untersuchungen nahelegen – die Schiffsrümpfe herumgebaut. Im spitz zulaufenden Bug und Heck der eher kleinen bis mittelgroßen Küstenfahrzeuge fanden dann die klassischen Amphoren ihren Platz. Dem Essay über die Weintanker folgt schließlich eine Abhandlung zum Wrack von Marausa, das besonders hinsichtlich einer typisch römischen Schiffbautradition zwischen dem 2. und 7. nachchristlichen Jahrhundert Aufschluss gibt.

Die Entwicklung der Unterwasserarchäologie im Mittelmeer

Wie ist die Unterwasserarchäologie im Mittelmeer eigentlich entstanden, wer waren die Initiatoren, wie entwickelte sich ihre Institutionalisierung? Am Beispiel der Unterwasserarchäologie auf Malta erhält der Leser einen Einblick in die Dynamik, die diese wissenschaftliche Sparte seit Ende der 60ger Jahre entwickelt hat. Als Eckpunkte dieser Entwicklung gehören die Fortschritte der Technologie, die nationalen Institutionen, internationale Kooperationen und gesetzliche Regelungen dazu, wie die Visionen und Initiativen einzelner Persönlichkeiten. Dass Unterwasserarchäologie nicht nur mit Seefahrt zu tun hat, zeigt das Kapitel über Römische Fischbecken an der slowenischen Küste Istriens. Überreste von Fischzuchtanlagen sind an der gesamten Mittelmeerküste entdeckt worden. Die hier vorgestellten Untersuchungen der Anlagen in der Bucht von Sveti Jernej belegen nicht nur die Bedeutung dieses Wirtschaftszweiges bei den Römern, sondern auch die architektonischen Herausforderungen und komplexen Grundlagen, die von den Erbauern solcher Anlagen bewältigt und berücksichtigt werden mussten.

Wracks von Byzantinischen Galeeren

Unterwasserarchäologie auf dem Trockenen könnte die Überschrift des Kapitels über den Theodosius-Hafen und die Schiffswracks von Yenikapl in Istanbul heißen. Denn die Überreste von 36 Schiffen des 5. bis 10. Jahrhunderts wurden in dem versandeten Hafenbecken des größten Hafens des frühen und mittleren Byzantinischen Reiches gefunden. 27 der vorgefundenen Wracks wurden bereits geborgen und vollständig dokumentiert und dürfen zu den bedeutendsten kulturellen Entdeckungen die in den letzten Jahren gemacht wurden, gezählt werden. Immerhin, gehören zum Spektrum der aufgefundenen Schiffstypen auch sechs Galeeren. der erste archäologische Beweis, so die Autoren, „dass die Galeeren wirklich schon in dieser Zeit existierten“. Schließlich sei die Existenz dieses Schiffstyps für das Byzantinische Reich bis zu den Ausgrabungen nur aus schriftlichen Quellen bekannt.

Einmal rund ums Mittelmeer

Im Rahmen des Buches, das ebenfalls Aspekte der Konservierung, gesetzliche Grundlagen und internationale Abkommen thematisiert, finden sich zahlreiche weitere spannende und kulturgeschichtlich bedeutende Wrackfunde aus dem gesamten Mittelmeerraum. Stichwortartig seien hier nur „Das Schiffswrack von Gnalic (16. Jh.) – Spiegel der Renaissance Europas“, „Das Wrack von Mazotos auf Zypern“ (4. Jh. v. Chr.) oder „Die Schiffswracks in der Lagune von Dor“. Und zuletzt sei hier aus den Beiträgen noch die ausführlichere historische und archäologische Darstellung Karthagos, „Die von Häfen umschlossenen Metropole“ hervorgehoben. Nach Italien, Griechenland, Türkei, den vorderasiatischen und afrikanischen Küsten, gelangt der Leser schließlich bei der Unterwasserarchäologie in Spanien und mit „Arles-Rhône 3“ schließlich bei der Ausgrabung eines gallo-römischen Lastkahns in Frankreich. Alles in allem ein Buch, das sowohl den Kulturgeschichtler, den Seefahrtsenthusiasten, den archäologisch Interessierten und sicher auch den Hobbytaucher anspricht.

Michaela Reinfeld (Hrsg.): Archäologie im Mittelmeer. Auf der Suche nach versunkenen Schiffswracks und vergessenen Häfen. Philipp von Zabern 2013. Gebunden mit Schutzumschlag, 192 Seiten.

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